Europäische Fiskalregeln könnten wichtige Investitionen blockieren – Bundesregierung sollte laufende Reformdiskussion aktiv nutzen

11.10.2021  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Hans Böckler Stiftung.

Die europäischen Fiskalregeln sollen reformiert werden, um sie kompatibel mit den ökonomischen Herausforderungen der Gegenwart zu gestalten. Die EU-Kommission will dazu am 19. Oktober eine erste Stellungnahme veröffentlichen. Die Bundesregierung sollte aktiv dazu beitragen, dass die Regeln künftig einfacher, transparenter und investitionsfreundlicher gestaltet werden.

Denn in ihrer gegenwärtigen Form könnten die EU-Vorschriften beispielsweise wichtige Vorhaben für Investitionen in Infrastruktur oder Klimaschutz blockieren – selbst wenn diese mit der Schuldenbremse im Grundgesetz vereinbar sind. Das ergibt eine neue Kurzanalyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Die notwendigen Überarbeitungen lassen sich relativ niedrigschwellig ohne Änderungen der EU-Verträge und unter Beibehaltung der so genannten „Maastricht“-Regeln für Defizite und Staatsverschuldung umsetzen, betonen die Autoren, zu denen neben Ökonomen des IMK auch der Europarechtler Prof. Dr. René Repasi von der Erasmus-Universität Rotterdam gehört.

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EU-Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni hat angekündigt, dass die EU-Kommission in die Reformdiskussion unter anderem wirtschaftspolitische Lehren aus der Corona-Zeit einbeziehen will. Die Vorschriften für Verschuldungsgrenzen sind bis 2023 ausgesetzt, um den EU-Staaten die nötigen Stabilisierungsmaßnahmen in der Pandemie möglich zu machen. Die IMK-Experten Prof. Dr. Sebastian Dullien, Dr. Andrew Watt, PD Dr. Sebastian Watzka, Christoph Paetz und ihr Co-Autor Repasi lenken den Blick auch auf ein weiteres zentrales Thema der aktuellen Wirtschaftspolitik: die Transformation hin zu einer digitalisierten, dekarbonisierten Wirtschaft. Denn die Klimaziele, die unter anderem Deutschland gesetzlich festgeschrieben hat, lassen sich ohne massive öffentliche Investitionen nicht erreichen. Auch hat Deutschland ganz erhebliche Nachholbedarfe bei traditioneller Infrastruktur. So veranschlagen das IMK und das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) den zusätzlichen Investitionsbedarf auf mindestens 460 Milliarden Euro über die nächsten zehn Jahre.

Die entsprechenden Kredite aufzunehmen, wäre für den deutschen Staat finanziell kein Problem, er kann sich nach wie vor auch für lange Zeiträume zu Niedrigstzinsen Geld leihen. Simulationsrechnungen mit dem international renommierten Konjunkturmodell NiGEM zeigen zudem positive wirtschaftliche Auswirkungen: Selbst bei konservativen Annahmen wäre das deutsche Bruttoinlandsprodukt mit einer schuldenfinanzierten Investitionsoffensive 2050 spürbar größer, die Staatsschuldenquote dagegen nicht höher als in einem Vergleichsszenario ohne massive kreditfinanzierte Investitionen. Mit der deutschen Schuldenbremse ließen sich Investitions-Kredite nach Einschätzung von IMK, IW sowie von namhaften Juristen ebenfalls vereinbaren, indem diese Kredite von Investitionsgesellschaften mit eigener Sachaufgabe übernommen werden.

Doch genau an diesem Punkt könnten die EU-Fiskalregeln in ihrer gegenwärtigen Ausgestaltung nach der IMK-Analyse einen deutschen Ansatz für „Green Deal“ und bessere öffentliche Infrastruktur ausbremsen: Sie differenzieren nicht danach, ob kreditfinanzierte Investitionen aus dem Kernhaushalt oder über Investitionsgesellschaften finanziert werden. „In der aktuellen Form drohen so die EU-Fiskalregeln ökonomisch sinnvolle Pläne der neuen Bundesregierung zu blockieren, obwohl sie weder die Schuldentragfähigkeit Deutschlands gefährden würden noch im Konflikt mit der deutschen Schuldenbremse stehen“, schreiben die IMK-Forscher und Rechtsprofessor Repasi.

Im Zuge der aktuellen Reformdiskussion ließe sich das Problem aber lösen, und zwar ohne die EU-Verträge zu ändern und damit den Kern der „Maastricht“-Regeln anzutasten. Stattdessen, so die Wissenschaftler, „ergeben sich über eine Änderung des EU-Sekundärrechts eine Reihe von Möglichkeiten, das Ziel nachhaltiger Staatsfinanzen, einer perspektivischen Senkung der Staatsschuldenquote und mehr Spielräume für öffentliche Investitionen zu vereinbaren.“ Eine sinnvolle und wichtige Stellschraube unter anderen wäre eine Vorrangbehandlung von wachstumsfördernden öffentlichen Investitionen durch Einführung einer „goldenen Regel“, die für Investitionen zumindest teilweise eine Kreditfinanzierung erlaubt. Zudem empfehlen die Forscher, bei der „Feinsteuerung der jährlichen Finanzpolitik“ umzuschwenken von der bisherigen Betrachtung struktureller Defizite hin zu einer Ausgabenregel, bei der die nicht-investiven, nicht-zyklischen Ausgaben nur mit einer bestimmten Rate pro Jahr wachsen dürfen, solange sie nicht durch Steuererhöhungen finanziert werden.

Eine kluge Reform, für die sich die Bundesregierung aktiv einsetzen sollte, würde nicht nur die angesprochenen möglichen europäischen „Hindernisse für einen sinnvollen Umgang mit der deutschen Schuldenbremse, wie er aktuell in den Sondierungsgesprächen diskutiert wird, beiseite räumen“, schreiben die Forscher. Sie würde auch generell erlauben, „die Komplexität der bisherigen Regeln zu verringern, die Transparenz zu stärken und am Ende auch die Glaubwürdigkeit des EU-Vertragsrahmens zu erhöhen, da die neuen Regeln weniger unerwünschte wirtschaftliche Nebenwirkungen in sich tragen, einfacher von der Kommission durchgesetzt werden können und damit ihre Anwendung auch auf nationaler Ebene leichter zu kommunizieren ist.“

Bild: coyot (Pixabay, Pixabay License)

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