Gemeiner Wert

21.06.2011  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Ihr Steuer-Experte Udo Cremer schreibt hier exklusiv für Sie.

Der gemeine Wert der Aktien lässt sich nicht stets aus weniger als ein Jahr zurückliegenden und im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erfolgten Aktienverkäufen ableiten.

Der gemeine Wert nicht börsennotierter Aktien lässt sich nicht i.S. des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG aus Verkäufen ableiten, wenn nach den Veräußerungen aber noch vor dem Bewertungsstichtag weitere objektive Umstände hinzutreten, die dafür sprechen, dass diese Verkäufe nicht mehr den gemeinen Wert der Aktien repräsentieren, und es an objektiven Maßstäben für Zu- und Abschläge fehlt, um von den festgestellten Verkaufspreisen der Aktien auf deren gemeinen Wert zum Bewertungsstichtag schließen zu können.

Die Kläger, Eheleute, wurden für das Streitjahr 1999 erklärungsgemäß mit Einkommensteuerbescheid vom 22.2.2001 zusammen veranlagt. Das FA änderte mit Änderungsbescheid vom 31.5.2005 den Einkommensteuerbescheid vom 22.2.2001 und erhöhte die Einkünfte des Klägers aus nichtselbständiger Tätigkeit um 3.485.522 DM. Grundlage der Änderung waren Feststellungen der Steuerfahndungsstelle. Danach hatte der Kläger am 25.2.1999 mit Wirkung zum 28.2.1999 385 Aktien der A. AG von P zum Kaufpreis von 330.000 DM erworben. Dem Kaufpreis lag eine Bewertung der A. AG in Höhe von 22 Mio. DM zugrunde. Weitere Aktien der A. AG wurden mit Kaufverträgen vom 13.10.1998, 24.2.1999, 1.3.1999 und mit zwei Verträgen vom 25.2.1999 übertragen. Dabei gingen die Vertragsbeteiligten von einem Unternehmenswert in Höhe von 22 Mio. DM und beim Kaufvertrag vom 1.3.1999 von einem solchen in Höhe von 30 Mio. DM aus. Insgesamt wurden dabei 9,7 % des Aktienkapitals übertragen.

Der Kläger wurde am 1.3.1999 Arbeitnehmer der A. AG. Am 22.4.1999 vereinbarten die A. AG und die C, dass die C Emissionsberater und Bookrunner einer angestrebten öffentlichen Erstplatzierung sein sollte. Geplant war eine öffentliche Erstplatzierung eines durch eine Kapitalerhöhung um ca. 35 % erweiterten Grundkapitals auf der Grundlage eines Bookbuildingverfahrens über ein Bankenkonsortium am Kapitalmarkt und die Zulassung des Handels im Geregelten Markt mit Notierung im Neuen Markt. Die Vertragspartner gingen dabei von einem fiktiven Eigenkapitalwert der Gesellschaft bei Börsennotierung vor der Durchführung der geplanten Kapitalerhöhung in Höhe von ca. 130 Mio. DM bis 180 Mio. DM aus.

Am 30.4.1999 beschloss die Hauptversammlung der A. AG eine Kapitalerhöhung des Grundkapitals um 18.190 DM auf 146.425 DM durch Ausgabe von 3.638 neuen Inhaberaktien im Nennwert von 5 DM. Der Kläger war zur Zeichnung von 354 Aktien im Nennwert von insgesamt 1.770 DM zzgl. eines Agios in Höhe von 361.377,36 DM zugelassen; er zeichnete und übernahm mit Zeichnungsschein vom 30.4.1999 entsprechend seinem Zeichnungsrecht die neuen Aktien, die in ihrer Bewertung hier streitig sind. Der Vorstand war u.a. ermächtigt, innerhalb von 18 Monaten die neuen Aktien vom Zeichnungsberechtigten zu dem Betrag zurück zu erwerben, den der Zeichnungsberechtigte für den Erwerb aufgewendet hatte. Gleichzeitig wurden Verkaufsbeschränkungen für den Fall des Ausscheidens der Zeichnungsberechtigten beschlossen. Die Kapitalerhöhung wurde am 16.5.1999 angemeldet und ihre Durchführung am 21.5.1999 im Handelsregister eingetragen.

Die außerordentliche Hauptversammlung vom 3.6.1999 beschloss u.a. die Umstellung des Grundkapitals von DM auf €, eine weitere Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln auf 146.425 €, eine Umstellung auf Stückaktien im Wert von 5 € (29.285 Stückaktien), eine Neueinteilung des Grundkapitals in 146.425 Stückaktien mit einem rechnerischen Anteil von 1 € und eine weitere Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln um 1.653.575 € auf 1.800.000 €. Danach hielt der Kläger insgesamt 45.423 Stückaktien, nämlich 23.665 Stückaktien aus dem Vertrag vom 28.2.1999 sowie die streitgegenständlichen 21.758 Stückaktien aus der Kapitalerhöhung vom 30.4.1999.

Der Börsengang der A. AG am Neuen Markt der Frankfurter Wertpapierbörse erfolgte zum 1.7.1999. Der Ausgabepreis betrug 46 €, der erste notierte Kurs lag bei 70 €. Am Tag der Einbuchung der Aktien des Klägers in dessen Depot am 12.7.1999 war der niedrigste Börsenkurs der A. AG an der Frankfurter Wertpapierbörse mit 90,44 € notiert.

Das FA qualifizierte auf Grundlage dieser Feststellungen den Erwerb der Aktien im Rahmen der Kapitalerhöhung vom 30.4.1999 als einen im Rahmen des Dienstverhältnisses des Klägers verbilligten Sachbezug gemäß § 19a Abs. 1 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung in Form einer Kapitalbeteiligung an seinem Arbeitgeber, der A. AG. Es ermittelte auf Grundlage des Börsenkurses von 90,44 € den streitigen geldwerten Vorteil aus dem Erwerb der 21.758 Aktien mit 3.485.522,14 DM und setzte dementsprechend im Änderungsbescheid vom 31.5.2005 die Einkommensteuer fest.

Nach Einspruch ermittelte das FA den geldwerten Vorteil auf Grundlage des Ausgabepreises von 46 € mit 1.594.380 DM, setzte die Einkommensteuer entsprechend herab und wies im Übrigen den Einspruch als unbegründet zurück. Das FG entsprach aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2007, 1508 veröffentlichten Gründen der Klage und hob den geänderten Einkommensteuerbescheid auf. Der Aktienerwerb des Klägers aus der Kapitalerhöhung im April 1999 sei durch das Dienstverhältnis veranlasst. Bei der im April 1999 durchgeführten Kapitalerhöhung seien nur insgesamt neun Mitarbeiter in gehobener Position bezugsberechtigt gewesen, die zu vergleichsweise niedrigen Gehältern zur A. AG gewechselt hätten und einen Teil ihrer Vergütung über das mit der Kapitalerhöhung verbundene Beteiligungsprogramm erhalten hätten.

Im Streitfall sei der gemeine Wert der noch nicht börsennotierten Aktien gemäß § 11 Abs. 2 BewG zu ermitteln. Denn innerhalb des Jahreszeitraums seien sechs Kaufverträge über Aktientransaktionen in Höhe von insgesamt 9,7 % des Grundkapitals der A. AG getätigt worden. Soweit der Kläger für die aus der Kapitalerhöhung vom 30.4.1999 erworbenen 354 Aktien insgesamt einen auf Basis einer Unternehmensbewertung von 30 Mio. DM berechneten Kaufpreis von 363.147,36 DM aufgewandt habe, bleibe für die Annahme einer verbilligten Aktienüberlassung an den Kläger unter Berücksichtigung des § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG kein Raum.

Die Revision ist begründet (BFH-Urteil vom 29.7.2010, VI R 30/07). Die Feststellungen des FG tragen nicht dessen Würdigung, dass der Kläger mit dem ihm eingeräumten Recht, im Rahmen der am 30.4.1999 beschlossenen Kapitalerhöhung weitere 354 Aktien zeichnen zu können, keinen aus dem Arbeitsverhältnis stammenden steuerpflichtigen Vorteil erlangt habe. Da die Feststellungen des FG zur Höhe des geldwerten Vorteils jedoch nicht ausreichen, um in der Sache selbst entscheiden zu können, führt die Revision zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Zu den Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 8 Abs. 1 EStG gehört auch der Vorteil aus der verbilligten Überlassung von Aktien, wenn der Vorteil dem Arbeitnehmer "für" seine Arbeitsleistung gewährt wird. Die Anwendung dieser Grundsätze war zwischen den Beteiligten zu Recht ebenso wenig streitig wie die Würdigung des FG, dass der Aktienerwerb des Klägers auf Grundlage der Kapitalerhöhung vom 30.4.1999 durch das Dienstverhältnis veranlasst war. Zu Unrecht ging das FG allerdings bei der Bewertung des Vorteils allein von den sechs vor dem 2.3.1999 erfolgten Aktienverkäufen aus. Es ließ dabei insbesondere den selbst festgestellten und bei der Beurteilung und Würdigung des Veranlassungszusammenhangs zwischen der Zeichnungsberechtigung und dem Arbeitsverhältnis auch berücksichtigten Umstand außer Betracht, dass der zeichnungsberechtigte Kläger einen Teil seiner Vergütung über das mit der Kapitalerhöhung verbundene Beteiligungsprogramm hatte erhalten sollen und die mit der Durchführung der Kapitalerhöhung beauftragten Beteiligten dabei von deutlich höheren Bewertungen ausgegangen waren.

Quelle: Udo Cremer

Udo Cremer Der Autor:

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.
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