22.08.2022 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Verband Deutscher Anwälte e.V..
Dieses setzte aber das Verfahren aus und rief den Europäischen Gerichtshof zur Klärung an. Dieser muss nun entscheiden, ob das Europäische Recht die Nachgewährung infolge einer Quarantäne „verlorenen“ Urlaubs verlangt. Die Rechtslage stellt der Hamburger Fachanwalt für Arbeitsrecht Prof. Dr. Michael Fuhlrott dar.
Anlass der Befassung der höchsten deutschen Arbeitsrichter war die Klage eines Schlossers. Dieser hatte bei seinem Arbeitgeber Urlaub für die Zeit vom 12.10.2020 bis 21.10.2020 beantragt und auch genehmigt erhalten. Am 14.10.2020 ordnete die zuständige Gemeinde die häusliche Absonderung für die Zeit vom 09.10.2020 bis zum 21.10.2020 an, da der Schlosser unmittelbaren Kontakt mit einem Corona-Infizierten hatte. Das Gesundheitsamt verbot ihm, die Wohnung zu verlassen.
Dies teilte der Schlosser seinem Arbeitgeber mit und verlangte die Gutschreibung der Urlaubtage. Der Arbeitgeber lehnte dies aber ab. Dagegen klagte der Arbeitnehmer. Während er vor dem Arbeitsgericht Hagen erfolglos war (Urt. v. 28.07.2021, Az.: 2 Ca 2784/20), gab ihm das Landesarbeitsgericht Hamm (Urt. v. 27.01.2022, Az.: 5 Sa 1030/21) Recht. Damit war nun der Arbeitgeber nicht einverstanden und legte Revision zum Bundesarbeitsgericht (BAG) ein, das den Fall am 16.08.2022 verhandelte.
Gesetzlich geregelt ist im deutschen Arbeitsrecht der Fall, wenn der Arbeitnehmer während seines Urlaubs erkrankt. Dann greift die Vorschrift des § 9 Bundesurlaubsgesetzes (BUrlG), wonach dem Arbeitnehmer „die durch ärztliches Zeugnis nachgewiesenen Tage der Arbeitsunfähigkeit auf den Jahresurlaub nicht angerechnet“ werden.
„Erkranke ich während meines Urlaubs, kann ich mir durch Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung die „verlorenen“ Urlaubstage gutschreiben lassen“, so Arbeitsrechtler Prof. Dr. Michael Fuhlrott. „Wichtig ist aber, den Arbeitgeber unverzüglich über meine Erkrankung zu informieren und ein ärztliches Attest einzuholen“, so der Hamburger Fachanwalt.
Für den Fall, dass der Arbeitnehmer in Quarantäne muss, fehlt es hingegen an einer gesetzlichen Regelung. Denn die Vorschrift aus dem Bundesurlaubsgesetz ist mangels Arbeitsunfähigkeit nicht direkt anwendbar. Daher war bislang ungeklärt, ob auch in einem solchen Fall eine Nachgewähr von Urlaub erfolgt oder ob der Arbeitnehmer das Nachsehen hat.
Verschiedene Arbeitsgerichte hatten sich dazu in der Vergangenheit auf Seiten des Arbeitgebers gestellt. Denn die Sondervorschrift aus dem Bundesurlaubsgesetz habe Ausnahmecharakter und sei daher eng anzuwenden. Die Frage war aber höchstrichterliche bislang ungeklärt, andere Gerichte hatten einen Vergleich zwischen Quarantäne und Erkrankung gezogen und die Nachgewähr von Urlaub bejaht.
Mit seiner Entscheidung vom 16.08.2022 (Az.: 9 AZR 76/22, PM Nr. 30/22) ließ das das Bundesarbeitsgericht die Streitfrage vorerst offen. Es rief den Europäischen Gerichtshof (EuGH) im Wege der Vorabentscheidung zur Klärung an. Dieser solle nunmehr entscheiden, ob die europäische Arbeitszeitrichtlinie einer deutschen Regelung entgegenstehe, wonach „Jahresurlaub, der sich mit einer nach Urlaubsbewilligung durch die zuständige Behörde wegen Ansteckungsverdachts angeordneten häuslichen Quarantäne zeitlich überschneidet, nicht nachzugewähren ist.“
Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott erläutert: „Ob eine nationale Regelung mit dem europäischen Recht vereinbar ist, kann verbindlich nur der Europäische Gerichtshof entscheiden. Dieser hat in der Vergangenheit schon mehrfach betont, dass das Recht auf bezahlten Jahresurlaub ein besonders bedeutsames Recht ist, das nicht eingeschränkt werden darf.“
Allein nach dem deutschen Recht betrachtet hält Fuhlrott eine Nachgewähr von Urlaub für ausgeschlossen: „Selbst in Konstellationen, in denen ein Arbeitnehmer während seines Urlaubs in Haft war, findet keine Nachgewähr von Urlaub statt. Hier ist der tatsächliche Erholungswert des Urlaubs ebenfalls massiv beeinträchtigt. Der Arbeitgeber schuldet nur die bezahlte Freistellung von der Arbeit. Er übernimmt keine Haftung für das Gelingen des Urlaubs und tatsächliche Urlaubsfreuden“, so der Arbeitsrechtler.
Ob dies aber weiterhin gilt, werden nunmehr die Luxemburger Richter zu entscheiden haben.
Mit einer Entscheidung des EuGH dürfte erst im kommenden Jahr zu rechnen sein. „Der Europäische Gerichtshof hat in der Vergangenheit mehrfach betont urlaubsfreundlich entschieden“, meint Fuhlrott. Es sei damit gut möglich, dass das Risiko einer Quarantäne bei Urlaubsfragen künftig der Arbeitgeber zu tragen habe.
Damit bleibt die Rechtsfrage in Deutschland vorerst ungeklärt und dürfte bis zu einer verbindlichen Entscheidung des Europäischen Gerichtshof zu weiteren Verfahren zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern führen, glaubt der Hamburger Arbeitsrechtler.
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