06.12.2011 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die Klägerin handelt mit Kraftfahrzeugen. Im Streitjahr 2006 veräußerte sie einen PKW an das in Spanien ansässige Unternehmen K, eine Kapitalgesellschaft spanischen Rechts. Dem lagen eine per Telefax übermittelte Bestellung der K vom 20.12.2006, eine Bestätigung des Bundeszentralamts für Steuern vom gleichen Tag über die Gültigkeit einer der K erteilten USt-Id-Nr. und zur Übereinstimmung der Angaben zu Name, Ort, Postleitzahl und Straße zugrunde, sowie eine von der Klägerin an K adressierte Rechnung vom 21.12.2006 ohne Ausweis von Umsatzsteuer, aber mit dem Hinweis auf das Vorliegen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung. Das Fahrzeug wurde von einem französischen Fahrer, Y, im Inland abgeholt. Y übergab der Klägerin eine eidesstattliche Versicherung über den Empfang des Fahrzeugs und die Beförderung nach Spanien sowie eine schriftliche Abholvollmacht, die K auf Y ausgestellt hatte. Die Klägerin fertigte eine Kopie des Personalausweises des Fahrers an, aus der sich auch dessen Wohnort ergab. Die Klägerin ging in ihrer Umsatzsteuerjahreserklärung 2006 von einer umsatzsteuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung aus.
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Das FA stimmte der Jahreserklärung, die zu einer Steuervergütung an die Klägerin führte, zu. Im Anschluss an eine Umsatzsteuer-Nachschau ging das FA aufgrund einer Auskunft der spanischen Finanzverwaltung davon aus, dass die Lieferung des PKW steuerpflichtig sei. Nach Mitteilung der spanischen Finanzverwaltung sei der Transport des Fahrzeugs tatsächlich nicht von K, sondern von deren in Frankreich ansässigen Kunden (X) veranlasst worden. Der PKW sei direkt nach Frankreich verbracht worden. Das FA erließ einen nach § 164 Abs. 2 AO geänderten Umsatzsteuerbescheid 2006, da die Lieferung der Klägerin an K nicht als steuerfreie innergemeinschaftliche, sondern als steuerpflichtige "ruhende" Lieferung im Rahmen eines Reihengeschäfts anzusehen sei. Der Einspruch der Klägerin blieb erfolglos. Mit seinem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2010, 913 veröffentlichten Urteil gab das FG der Klage statt. Zwar erfülle die Lieferung des PKW an K nicht die Voraussetzungen einer steuerfreien innergemeinschaftlichen Lieferung gemäß § 6a Abs. 1 UStG, da die Abholung des Fahrzeugs vom Abnehmer der K und nicht von dieser selbst oder der Klägerin veranlasst worden sei. Die Klägerin könne sich jedoch auf Vertrauensschutz nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG berufen, denn sie habe die ihr gemäß § 6a Abs. 3 UStG i.V.m. §§ 17a, 17c UstDV obliegenden Nachweispflichten erfüllt und keine Veranlassung gehabt, an der Richtigkeit der vom Fahrer vorgelegten Belegangaben zu zweifeln, nach denen sie von seinem Handeln für K habe ausgehen dürfen.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts. Objektiv habe es sich um ein Reihengeschäft gehandelt. Da der französische Abnehmer X als letzter Unternehmer in der Reihe die Beförderung des Pkws beauftragt habe, sei die Warenbewegung nur der Lieferung der K an diesen zuzuordnen, so dass die innergemeinschaftliche Lieferung in diesem Verhältnis erfolgt sei. Daher sei § 6a Abs. 4 UStG nicht anwendbar. Die Prüfung der Ortsvorschrift führe zu einer im Inland steuerbaren ruhenden Lieferung gemäß § 3 Abs. 7 Satz 2 Nr. 1 UStG. Dies schließe die Steuerbefreiung für innergemeinschaftliche Lieferungen aus. Eine andere Beurteilung würde den Anwendungsbereich des § 6a Abs. 4 UStG unzulässig ausweiten, da die Vorschrift nicht das Vertrauen in den Ort der Lieferung nach § 3 Abs. 6 und Abs. 7 UStG schütze.
Die Revision des FA ist unbegründet (BFH-Urteil vom 11.8.2011, V R 3/10). Die Klägerin hat eine innergemeinschaftliche Lieferung ausgeführt, die aber entgegen dem FG-Urteil bereits nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG steuerfrei ist, weil der Abnehmer der Klägerin den Gegenstand in das übrige Gemeinschaftsgebiet versandt hat, so dass es auf die Voraussetzungen für die Gewährung von Vertrauensschutz gemäß § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG nicht ankommt. Aufgrund der von K dem Y erteilten Vollmacht zur Abholung ist von einer Versendung durch K auszugehen, so dass entsprechend § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG eine Versendung durch den Abnehmer der von der Klägerin ausgeführten Lieferung vorliegt, und die Klägerin für diese Lieferung die Steuerfreiheit nach dieser Vorschrift in Anspruch nehmen kann.
Es liegen mehrere Lieferungen über einen Gegenstand vor, da das Fahrzeug von der Klägerin an K sowie von K an deren französischen Abnehmer geliefert wurde. Da K als erster Abnehmer gegenüber der Klägerin erklärt hat, sie werde den Gegenstand der Lieferung nach Spanien und damit in einen anderen Mitgliedstaat als den Liefermitgliedstaat befördern oder versenden, K unter ihrer spanischen USt-Id-Nr. handelte, und ein von K Beauftragter den Gegenstand zur Beförderung in das übrige Gemeinschaftsgebiet abholte, war die Lieferung der Klägerin an K die Versendungslieferung und damit die innergemeinschaftliche Lieferung. Ob K ihrerseits im Verhältnis zu ihrem französischen Abnehmer die Kosten für die Versendung in das übrige Gemeinschaftsgebiet trug, ist im Hinblick auf die von K für den Abholer Y erteilte Vollmacht unerheblich.