19.09.2016 — Udo Cremer. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Die Kläger sind Eheleute und wurden für das Streitjahr (1999) zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger war mit 35 % an der Firma ... GmbH (GmbH) beteiligt und deren alleiniger Geschäftsführer. Ausweislich des Arbeitsvertrags vom 1.3.1980 hatte er Anspruch auf Reisekostenerstattungen bis zur Höhe der jeweils gesetzlich zulässigen Höchstbeträge. In der Einkommensteuererklärung erklärte der Kläger einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 89.227 DM sowie Werbungskosten in Form von Reisekosten in Höhe von 20.285 DM. Dagegen wies die beigefügte Lohnsteuerkarte einen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 136.556,73 DM aus. Der Kläger erläuterte dies damit, sein Arbeitgeber sei in finanzielle Schwierigkeiten geraten und er habe daher insoweit auf den Lohn verzichtet. Dazu legte er die Kopie einer zwischen der GmbH und ihm getroffenen Vereinbarung vom 16.1.1997 vor, wonach der Kläger als Gesellschafter-Geschäftsführer zu Gunsten der Firma während eines Liquiditätsengpasses auf sein Gehalt verzichten könne. Das FA legte im Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr den auf der Lohnsteuerkarte ausgewiesenen Bruttoarbeitslohn in Höhe von 136.556 DM zu Grunde.
Mit der Einspruchsentscheidung setzte das FA die Einkommensteuer nach einem entsprechenden Hinweis höher fest, weil es nun auch die bislang als Werbungskosten berücksichtigten Reisekosten nicht mehr anerkannte. Die Vereinbarung vom 16.1.1997 enthalte keinen im Voraus ausgesprochenen konkreten Gehaltsverzicht. Der Gehaltsanspruch sei mit Erbringung der geschuldeten Arbeitsleistung entstanden, so dass der Verzicht auf die Auszahlung des Lohns ebenso wie der Verzicht auf die dem Kläger nach dem Arbeitsvertrag zustehenden Erstattungen für Reisekosten jeweils als Gehaltsverwendung zu beurteilen sei.
Das FG gab der dagegen gerichteten Klage statt. Die Revision des FA ist begründet (BFH Urteil vom 15.6.2016, VI R 6/13). Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Die Entscheidung des FG, dass dem Kläger für die Monate März, Mai, August und Dezember 1999 kein Arbeitslohn zugeflossen sei, hält einer revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Arbeitslohn ist i.S. des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zugeflossen; das ist in der Regel der Zeitpunkt des Eintritts des Leistungserfolgs oder der Möglichkeit, den Leistungserfolg herbeizuführen. Geldbeträge fließen dem Steuerpflichtigen dementsprechend regelmäßig dadurch zu, dass sie bar ausgezahlt oder einem Konto des Empfängers bei einem Kreditinstitut gutgeschrieben werden. Jedoch kann auch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten einen Zufluss bewirken, wenn in der Gutschrift nicht nur das buchmäßige Festhalten einer Schuldbuchverpflichtung zu sehen ist, sondern darüber hinaus zum Ausdruck kommt, dass der Betrag dem Berechtigten von nun an zur Verfügung steht. Allerdings muss der Gläubiger in der Lage sein, den Leistungserfolg ohne weiteres Zutun des im Übrigen leistungsbereiten und leistungsfähigen Schuldners herbeizuführen. Da sich die Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht nach den tatsächlichen Verhältnissen richtet, kann der Zufluss grundsätzlich nicht fingiert werden. Eine Ausnahme macht die Rechtsprechung hiervon lediglich bei beherrschenden Gesellschaftern einer Kapitalgesellschaft. Bei diesen wird angenommen, dass sie über eine von der Gesellschaft geschuldete Vergütung bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit verfügen können und ihnen damit entsprechende Einnahmen zugeflossen sind. Allerdings werden von dieser Zuflussfiktion nur Gehaltsbeträge und sonstige Vergütungen erfasst, die die Kapitalgesellschaft den sie beherrschenden Gesellschaftern schuldet und die sich bei der Ermittlung ihres Einkommens ausgewirkt haben.
Überdies kann der Verzicht des Gesellschafters auf seinen Vergütungsanspruch zum Zufluss des Forderungswerts führen, soweit mit ihm eine verdeckte Einlage erbracht wird. Eine verdeckte Einlage liegt nach ständiger Rechtsprechung des BFH vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der Gesellschaft einen einlagefähigen Vermögensvorteil zuwendet, ohne dass der Gesellschafter hierfür neue Gesellschaftsanteile erhält, und wenn diese Zuwendung ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat. Letztere Voraussetzung ist gegeben, wenn ein Nichtgesellschafter der Gesellschaft den Vermögensvorteil bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nicht eingeräumt hätte.
Als verdeckte Einlagen sind nur Wirtschaftsgüter geeignet, die das Vermögen der Kapitalgesellschaft vermehrt haben, sei es durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens. Ob das Vermögen der Kapitalgesellschaft durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens oder durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens vermehrt ist, bestimmt sich nach Bilanzrecht. Insofern ist maßgeblich, inwieweit Bilanzposten in eine Bilanz hätten eingestellt werden müssen, die zum Zeitpunkt des Verzichts erstellt worden wäre.
Das FG hat für den Senat bindend festgestellt, dass keine Umstände erkennbar sind, die für gleichgerichtete Interessen der Kläger und damit für eine beherrschende Stellung des nur zu 35 % an der GmbH beteiligten Klägers sprechen. Es hat daher eine Fiktion des Zuflusses bei Fälligkeit der von der Kapitalgesellschaft geschuldeten Gehälter, die nur bei beherrschenden Gesellschaftern in Betracht kommt, im Ergebnis in nicht zu beanstandender Weise abgelehnt.
Das FG hat jedoch zu Unrecht das Vorliegen einer verdeckten Einlage verneint, ohne Einzelheiten zu dem "Verzicht" des Klägers auf die Auszahlung der einzelnen Monatsgehälter festzustellen. Der Kläger hat nach seinem eigenen Vortrag der GmbH die streitigen Gehälter nicht gestundet, sondern ihr "zum Erhalt geschenkt". Wie das FA zu Recht ausgeführt hat, kommt es deshalb maßgeblich darauf an, ob der Kläger bereits jeweils vor Entstehung oder erst im Nachhinein auf den einzelnen Gehaltsanspruch verzichtet hat. Entscheidend ist damit, ob bzw. inwieweit im Zeitpunkt des jeweiligen Verzichts eine Gehaltsverbindlichkeit in eine Bilanz hätte eingestellt werden müssen, die zum Zeitpunkt des Verzichts erstellt worden wäre. Nur falls der Kläger im Vorhinein (vor Entstehung des jeweiligen Gehaltsanspruchs) verzichtet hätte, er mithin für den jeweiligen Monat von vornherein unentgeltlich tätig geworden wäre, wäre es nicht zur Vermögensmehrung bei der GmbH gekommen. Andernfalls (bei einem Verzicht im Nachhinein) hätte die GmbH zunächst jeweils Gehaltsverbindlichkeiten passivieren müssen. Verzichtet der Geschäftsführer auf einen solchen bereits entstandenen Anspruch aus gesellschaftsrechtlichen Gründen, erbringt er insoweit, als seine Forderung im Zeitpunkt des Verzichts werthaltig ist, eine bei ihm zum Zufluss (§ 11 Abs. 1 EStG) führende verdeckte Einlage in die Kapitalgesellschaft. Der Forderungsverzicht bewirkt, soweit mit ihm eine verdeckte Einlage erbracht wird, einen Zufluss beim Gesellschafter in Höhe des werthaltigen Teils der Forderung.
Der Autor:
Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.
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