09.12.2024 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Hans Böckler Stiftung.
Nominal entspricht die Zuwachsrate bei den Tariflöhnen im Jahr 2024 exakt der des Vorjahres. Im längerfristigen Vergleich ist sie jedoch außergewöhnlich hoch. „Die Tariflohnentwicklung des Jahres 2024 ist nach wie vor eine Reaktion auf die außergewöhnlich hohen Inflationsraten der Vorjahre, in denen die Beschäftigten einen erheblichen Rückgang der Reallöhne hinnehmen mussten“, sagt der Leiter des WSI-Tarifarchivs, Prof. Dr. Thorsten Schulten. „Durch die kräftigen Reallohnzuwächse in diesem Jahr konnten die Kaufkraftverluste der drei Vorjahre etwa zur Hälfte kompensiert werden.“
Das preisbereinigte Niveau der Tariflöhne liegt insgesamt auf dem Niveau des Jahres 2018 und damit deutlich unter dem Spitzenwert des Jahres 2020. „Die reduzierte Kaufkraft der Beschäftigten ist ein wesentlicher Grund für die schwache Konjunkturentwicklung in Deutschland“, sagt Schulten. „Auch wenn die Einkommen der Beschäftigten in diesem Jahr wieder Boden gut gemacht haben, besteht also weiterhin erheblicher Nachholbedarf.“
Im Jahr 2024 wurden für etwa 12,6 Millionen Beschäftigte neue Tarifabschlüsse getätigt. Hinzu kommen Tariferhöhungen für weitere 7,9 Millionen Beschäftigte, die bereits 2023 oder früher vereinbart wurden. Insgesamt profitieren damit in 2024 gut 20 Millionen Beschäftigte von tarifvertraglichen Lohnsteigerungen. „Solche Zahlen machen deutlich, dass das Tarifsystem ein wichtiges Instrument ist, um materielle gesellschaftliche Teilhabe zu gewährleisten. In einer Zeit, in der sich viele Menschen Sorgen machen, ob sie künftig ihren Lebensstandard halten können, ist es ein besonders wichtiger Faktor gesellschaftlicher Stabilisierung“, sagt Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI. „Auch deshalb sollten wir alle ein Interesse an einer hohen Tarifbindung haben und diese stärken.“
In der Tarifrunde 2024 wurden in den meisten großen Tarifbranchen neue Tarifverträge vereinbart. Hierzu gehören etwa die Chemische Industrie und die Metall- und Elektroindustrie wie auch das Baugewerbe oder der Einzelhandel. Nicht verhandelt wurde hingegen im Öffentlichen Dienst, der Anfang nächsten Jahres den Auftakt der Tarifrunde 2025 bilden wird.
Einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Tariflöhne leisten im Jahr 2024 wiederum die sogenannten Inflationsausgleichsprämien (IAPs), die in nahezu allen großen Tarifbranchen wie auch in vielen kleinen Tarifbereichen vereinbart wurden. Bei den IAPs handelt es sich um steuer- und abgabenfreie Einmalzahlungen, die den Beschäftigten, im Vergleich zu einer regulären Tariferhöhung, einen höheren Nettolohn und den Arbeitgebern niedrigere Arbeitskosten ermöglichen. Je nach Tarifbereich variieren die IAPs zwischen einigen hundert bis zu 3.000 Euro. In vielen Fällen werden sie über einen Zeitraum von zwei Jahren in mehreren Tranchen oder auch als monatliche Zusatzzahlungen gewährt. Insgesamt können die IAPs bis Ende 2024 ausgezahlt werden, so dass sie in diesem Jahr noch einmal stark zur Geltung kommen.
Da die IAPs in den Berechnungen des WSI-Tarifarchivs lediglich als Bruttoeinmalzahlungen berücksichtigt werden, können für viele Beschäftigte die Tariferhöhungen netto noch einmal deutlich höher ausfallen. Denn die Nettolöhne hängen vom Haushaltskontext und der Steuerklasse der Beschäftigten ab. „Allerdings sind die Inflationsausgleichsprämien als Einmalzahlungen durchaus ein zweischneidiges Schwert“, so Tarifexperte Schulten. „Auf der einen Seite haben sie kurzfristig geholfen, Kaufkraftverluste zu begrenzen und sorgen in diesem Jahr für besonders hohe Reallohnzuwächse. Schon jetzt ist allerdings auch absehbar, dass sich der Wegfall der Inflationsausgleichsprämien im Jahr 2025 stark dämpfend auf die Tariflohnentwicklung auswirken wird.“
Bild: Ibrahim Boran (Unsplash, Unsplash Lizenz)
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