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9 Jahre keine Betriebskosten abgerechnet: Vertrag konkludent geändert?

04.06.2024  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: IBR Immobilien & Baurecht.

Allein aus dem Umstand, dass der (ursprüngliche) Vermieter von Mietbeginn an über neun Jahre nicht über die Betriebskosten abgerechnet hat, lässt sich nicht auf einen Willen des Vermieters schließen, ein ihm nachteiliges konkludentes Vertragsänderungsangebot dahingehend abzugeben, dass die vereinbarte Abrechnung der Betriebskosten für die Zukunft ausgeschlossen sein solle.

KG, Urteil vom 01.06.2023, 8 U 23/23

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BGB §§ 535, 550, 556 Abs. 1
Allein aus dem Umstand, dass der (ursprüngliche) Vermieter von Mietbeginn an über neun Jahre nicht über die Betriebskosten abgerechnet hat, lässt sich nicht auf einen Willen des Vermieters schließen, ein ihm nachteiliges konkludentes Vertragsänderungsangebot dahingehend abzugeben, dass die vereinbarte Abrechnung der Betriebskosten für die Zukunft ausgeschlossen sein solle.
KG, Urteil vom 01.06.2023 - 8 U 23/23
vorhergehend:
LG Berlin, 04.01.2023 - 21 O 56/22

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil der Zivilkammer 21 des Landgerichts Berlin vom 04.01.2023 - 21 56/22 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 2.278,71 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.09.2021 sowie weitere EUR 887,03 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 03.05.2021 an den Kläger zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Widerklage wird abgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz und die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

I.

Der Beklagte ist Mieter und die Beklagte ist Vermieterin einer Bodenfläche von 500 m² in der S... in ... B.. Mietvertraglich ist eine Laufzeit des Mietverhältnisses vom 1.5.2013 bis 30.4.2023 sowie eine Nettokaltmiete vereinbart. Hinsichtlich des genauen Inhalts des Mietvertrages vom 15.4.2013 wird auf die Anlage K1 (Bd. I Bl. 4ff. d.A.) Bezug genommen. In den Jahren 2013 bis 2019 wurden von der Vermieterseite keine Betriebskosten abgerechnet. Die Parteien streiten in der Berufung noch über die Wirksamkeit der ordentlichen Kündigung des Mietvertrages durch die Klägerin mit Schreiben vom 22.11.2021 (Anlage B1). Die Zivilkammer 21 des Landgerichts Berlin hat der auf Feststellung der Beendigung des Mietverhältnisses durch diese Kündigung gerichteten Widerklage mit Urteil vom 4.1.2023 - 21 O 56/22 - stattgegeben. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlichen Anträge der Parteien wird auf die tatbestandlichen Feststellungen in dem Tatbestand und den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt der Beklagte seinen erstinstanzlichen Antrag auf Abweisung der Widerklage weiter. Zur Begründung trägt er unter teilweiser Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und Bezugnahme hierauf vor: Es gebe in dem Mietvertrag keinen Hinweis darauf, welche Betriebskosten der Mieter zu tragen habe. Im Zweifel trage diese Betriebskosten, da der Vermieter den insoweit widersprüchlichen Vertrag diktiert habe, eben dieser. Eine Veränderung des Vertrages durch mündliche Abrede habe es zwischen dem Alteigentümer und dem Kläger zu keinem Zeitpunkt gegeben. Die angefochtene Entscheidung setze sich in Widerspruch zu der Entscheidung des Landgerichts Berlin zu dem Aktenzeichen 11 O 350/21.

Der Kläger beantragt, das Urteil im Tenor zu 2. aufzugeben (richtig: abzuändern) und die Widerklage kostenpflichtig abzuweisen. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Sie verteidigt das angefochtene Urteil hinsichtlich der Feststellung der Beendigung des Mietverhältnisses unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

II.

Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Das Landgericht hat der Widerklage zu Unrecht stattgegeben. Die Klägerin konnte das Mietverhältnis der Partei nicht ordentlich kündigen, da die erforderliche Schriftform gewahrt ist, § 550 S. 1 BGB.

1. Die Mietvertragsparteien haben in den Mietvertrag vom 15.4.2013 eine Umlagevereinbarung getroffen.
a) Zwar geht das BGB in den §§ 535, 556 Abs. 1 davon aus, dass die Nebenkosten grundsätzlich vom Vermieter getragen werden, also durch die vereinbarte Miete abgegolten sind (Grüneberg/Weidenkaff, BGB, 82. Auflage 2023, § 535 Rn 87; Eisenschmid in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2022, § 535 Rn. 649). Auch bedürfen formularmäßige Abweichungen hiervon durch gesonderte Umlegung der Nebenkosten auf den Mieter einer hinreichend bestimmten Vereinbarung, damit der Mieter Art und Umfang der Belastung erkennen kann (BGH NJW-RR 2006, 84; NJW 2016, 2489; 2006, 3057). In der Geschäftsraummiete hat der BGH indes insoweit eine pauschale Umlage der "Betriebskosten" genügen lassen und bei einer solchen Regelung die Kosten gemäß BetrKV 2 S. 1 Nr. 1 bis 16 als erfasst angesehen (BGH NJW-RR 2020, 656).
b) Hier haben die Mietvertragsparteien eine eindeutige Vereinbarung zur Umlage der Betriebskosten vereinbart.
Sie haben in § 3 Nr. 1 des Mietvertrages durch Anbringen eines Kreuzes die Mietstruktur "Netto-Kaltmiete (ausschließlich Betriebskosten, Heizung und Warmwasser)" gewählt, keine Vorauszahlungen auf die Betriebs- und Heizkosten vereinbart und unter § 3 Nr. 4 des Mietvertrages vereinbart, dass die Betriebskosten, sofern sie nicht nach Verbrauch abzurechnen sind, nach dem Verhältnis der Mietfläche zur Gesamtfläche umgelegt werden.
Mit dem Begriff der Nettokaltmiete wird regelmäßig die Miete bezeichnet, die der Mieter ohne Berücksichtigung einer Abgeltung von Betriebskostenkosten schuldet (s. Lehmann-Richter in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Auflage 2022, § 556 Rn. 5; vgl. auch Emmerich in: Bub/Treier, Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Auflage 2019, Kapitel III Rn. 182). Dieses Verständnis wird in dem hier im Streit stehenden Mietvertrag dadurch bestätigt, dass sich hinter dem Begriff der - als Variante angekreuzten - "Netto-Kaltmiete" der Hinweis findet, dass diese Miete keine Betriebskosten, Heizung und Warmwasser enthält.
Daneben haben die Mietvertragsparteien in § 3 Nr. 4 des Mietvertrages ausdrücklich die Umlage der Betriebskosten - und zwar, soweit gesetzlich vorgesehen, nach Verbrauch bzw. sonst nach dem Verhältnis der Mietfläche zur Gesamtfläche - vereinbart. Unter Berücksichtigung der unter a) genannten Rechtsprechung des BGH (BGH NJW-RR 2020, 656) umfasst der Begriff der "Betriebskosten" die Kosten gemäß BetrKV 2 S. 1 Nr. 1 bis 16, so dass die Umlagevereinbarung eindeutig ist.
Eine der unter § 3 Nr. 3 des Mietvertrages genannten Varianten musste zu der Eindeutigkeit der Umlagevereinbarung nicht angekreuzt werden. In Betracht gekommen wäre insoweit die dritte Variante, die da lautet: "sind in der gemäß Abs. 1 vereinbarten Netto-Kaltmiete nicht enthalten."
Indes bedurfte es dieser Klarstellung nicht, das bereits in § 3 Nr. 1 des Mietvertrages ausdrücklich geregelt ist, dass sich die Netto-Kaltmiete ausschließlich Betriebskosten versteht.

2. Das Landgericht geht aber zu Unrecht davon aus, dass sich der Kläger und der Vorvermieter zumindest nach Abschluss des Mietvertrages konkludent - mithin nicht in der gemäß § 550 BGB erforderlichen Schriftform - darauf geeinigt haben, dass keine Umlage der Nebenkosten erfolgen soll, weil der Vorvermieter in den Jahren 2013 bis 2019 keine Nebenkostenabrechnungen erteilt hat und der Kläger eine solche Abrechnung auch nicht verlangt hat.
Allein aus dem Umstand, dass der (ursprüngliche) Vermieter von Mietbeginn an über neun Jahre nicht über die Betriebskosten abgerechnet hat, lässt sich nicht auf einen Willen des Vermieters schließen, ein ihm nachteiliges konkludentes Vertragsänderungsangebot dahingehend abzugeben, dass die vereinbarte Abrechnung der Betriebskosten für die Zukunft ausgeschlossen sein solle (BGH, Urteil vom 13. Februar 2008 - VIII ZR 14/06 -, NJW 2008, 1302; Lehmann-Richter in: Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl. 2022, § 556 Rn. 66).
Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf §§ 709 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Nichtzulassung der Revision beruht darauf, dass die Gründe des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Der Senat sieht sich im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung und es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung.

Bild: Mikhail Nilov (Pexels, Pexels Lizenz)

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