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Auch in Deutschland arbeiten Kinder unter schädlichen Bedingungen

26.06.2024  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: terre des hommes Deutschland e. V..

Weitaus mehr Kinder arbeiten unter schädlichen Bedingungen, als den zuständigen Behörden bekannt ist. Die Kinderrechtsorganisation Terre des Hommes fordert Bund und Länder auf, sich verstärkt mit Kinderarbeit in Deutschland zu befassen und den Kinder- und Jugendarbeitsschutz zu reformieren.

"Unsere zum internationalen Tag gegen Kinderarbeit veröffentlichte Studie "Kinderarbeit? In Deutschland?" zeigt, dass auch in Deutschland Kinder unter Bedingungen arbeiten, die ihre Entwicklung, Gesundheit, Sicherheit und Bildung beeinträchtigen", sagt Joshua Hofert, Vorstandssprecher von Terre des Hommes.

In der Studie fand Terre des Hommes Hinweise darauf, dass weitaus mehr Kinder unter schädlichen Bedingungen arbeiten, als den zuständigen Behörden bekannt ist. Eine Befragung von 37 arbeitenden Kindern und Jugendlichen aus diversen sozialen Schichten in Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen ergab 14 Tätigkeiten und Arbeitsbedingungen, die eindeutig gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz verstoßen. Dazu zählten verbotene Arbeiten wie Türstehen oder der Ausschank von Alkohol, zu lange Arbeitszeiten, Nachtarbeit oder der Umgang mit gefährlichen Werkzeugen wie etwa großen Landmaschinen. In vielen Fällen wurde dabei das Mindestalter von 13 Jahren unterschritten. Die meisten dieser Verstöße fanden innerhalb der Familie oder in Familienbetrieben statt: zu Hause, in Gaststätten, landwirtschaftlichen Betrieben, auf dem Bau und bei der Gebäudereinigung. Keine dieser Tätigkeiten war einem Jugendamt oder der Gewerbeaufsicht bekannt. Insgesamt melden die zuständigen Aufsichtsbehörden der Länder und das Bundeskriminalamt pro Jahr lediglich 60 Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz.

"Angesichts von über 14 Millionen Minderjährigen in Deutschland ist das eine verschwindend geringe Zahl. Sie verweist auf eine große Dunkelziffer. Wichtige Akteure wie Schulen, Kinderärzt*innen oder Jugendämter erkennen die Risiken für Kinder nicht. Die Jugendhilfe und die Gewerbeaufsichtsämter arbeiten nicht systematisch zusammen", so Hofert.

Erschwerend kommt hinzu, dass über zahlreiche Tätigkeiten von Kindern und Jugendlichen kaum etwas bekannt ist. So schätzt das Bundesfamilienministerium, dass rund 480.000 Kinder und Jugendliche in Deutschland Angehörige pflegen, die chronisch körperlich oder psychisch krank sind oder eine Behinderung haben. Junge Pflegende leisten viel für ihre Familie und die Gesellschaft, sind dabei aber zugleich Risiken für ihre eigene Gesundheit, für ihr soziales Leben und ihre Bildungs- und Berufschancen ausgesetzt. Dennoch werden ihre Belange bisher kaum wahrgenommen und berücksichtigt. Dringend notwendig sind daher weitere Forschung und mehr wirksame Hilfs- und Entlastungsangebote seitens Schulen und Berufsschulen, Pflege- und Krankenkassen, Krankenhäusern und stationären Pflegeeinrichtungen sowie Kommunen und Vereinen.

Eine neue Form der Kinderarbeit innerhalb der Familie ist die Mitwirkung von Kindern in digitalen Kanälen kommerziell arbeitender Familieninfluencer*innen. Marketing mit Influencer*innen ist ein Milliardengeschäft, bei dem Familien vor den Augen von oftmals Millionen Follower*innen ihre Kinder einbeziehen, um Geld zu verdienen. Besonders das Zeigen von Babys und Kleinkindern bringt viel positive Resonanz. Unternehmen nutzen die Kanäle zunehmend für Werbung. Die Kinder werden dabei jedoch hohen Risiken ausgesetzt: Ihr Zuhause ist öffentlich sichtbar, Privatsphäre existiert nicht, das Familienleben ist weitgehend inszeniert. Nicht nur die persönliche Sicherheit, sondern auch die Gesundheit der Kinder ist gefährdet, es besteht die Gefahr von Bindungs- und Entwicklungsstörungen. "Gemäß der UN-Kinderrechtskonvention ist das Wohl eines Kindes vorrangig zu berücksichtigen. Dies ist hier nicht der Fall. Das Jugendarbeitsschutzgesetz erlaubt keine Tätigkeiten für Kinder unter drei Jahren. Deshalb appellieren wir an die zuständigen Behörden, die Einbeziehung von Babys und Kleinkindern in digitalen Kanälen kommerziell arbeitender Familieninfluencer*innen umgehend zu stoppen. Auch Beiträge, die die Privatsphäre älterer Kinder verletzen oder ihre persönliche Sicherheit gefährden, sollten beendet werden. Hier sehen wir auch Unternehmen in der Pflicht, keine Werbung in Kanälen zu schalten, in denen Kinder solchen Risiken ausgesetzt sind", so Joshua Hofert.

Terre des Hommes fordert Bund und Länder auf, sich dringend und umfassend mit dem Kinder- und Jugendarbeitsschutz zu befassen und die Risiken für Kinder auf Grundlage der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen zu identifizieren und zu regulieren. Dabei sollten alle Tätigkeiten im formellen und informellen Sektor, innerhalb oder außerhalb der Familie, legal oder illegal, einbezogen und auf den Prüfstand gestellt werden.

Terre des hommes hat für den Report "Kinderarbeit? In Deutschland?" mit 37 arbeitenden Kindern in Brandenburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen gesprochen. Die Kinder besuchten Gymnasien, Gesamtschulen und Förderschulen und kamen etwa zur Hälfte aus ländlichen Regionen und Städten. Die Befragung arbeitender Kinder ist nicht repräsentativ. Terre des hommes hat die entsprechenden Ministerien aller 16 Bundesländer befragt und die Berichte der zuständigen Behörden (in der Regel Gewerbeaufsichtsämter) aller Bundesländer und des Bundeskriminalamtes ausgewertet. Neben der Auswertung aktueller wissenschaftlicher Literatur hat Terre des Hommes die Gesetzgebung zum Kinder- und Jugendarbeitsschutz analysiert und im Hinblick auf die Erfüllung der Bestimmungen der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen bewertet. Um die Mitwirkung von Kindern in Kanälen kommerziell arbeitender Familieninfluencer*innen und Ausmaß und Form der Werbung in solchen Kanälen zu analysieren, hat Terre des Hommes vom 1. bis 31. Dezember 2023 alle Beiträge in fünf Kanälen von Familieninfluencer*innen gesichtet.

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