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OLG Hamm zum Abmahnmissbrauch

16.11.2015  — Rolf Becker.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Der Einwand des Abmahnmissbrauchs führt leider selten zum Erfolg. Rechtsanwalt Rolf Becker, Partner bei WIENKE & BECKER – KÖLN, stellt ein aktuelles Urteil vor, dem hunderte Abmahnungen vorausgingen.

Diverse Händler erhielten im Juni Abmahnpost, weil sie bestimmte Briefkästen eines bestimmten Anbieters im Programm beworben hatten. Auf der Verpackung, die häufig auch in der Werbung abgebildet wurde, befanden sich Produktkennzeichnungen mit Werbeaussagen „umweltfreundlich produziert“ und „geprüfte Qualität“. Das LG Hagen war in I. Instanz in einem Verfügungsverfahren angerufen worden und die Kammer für Handels­sachen ließ in der mündlichen Verhandlung vom 03.06.2015 keinen Zweifel daran, dass sie die Aussagen für wettbewerbswidrig halte. Am 10.07.2015 erging ein entsprechendes Urteil, das aber jetzt vom OLG Hamm (Urt. v. 15.09.2015, Az. 4 U 105/15) wegen Rechtsmissbrauch (§ 8 Abs. 4 Satz 1 UWG) kassiert wurde.

Feiertagsarbeit

Der Abmahner führte nämlich am Tag nach der mündlichen Verhandlung, an Fronleichnam „Marktsichtungen“ durch. Deren Ergebnis, eine Liste mit mindestens 50 Unternehmen, die Briefkästen des Herstellers „C KG“ mit den Kennzeichnungen vertrieben, wurde noch am gleichen Tag dem Geschäftsführer der Abmahnerin über­mittelt. Der bedankte sich artig für das schnelle Tätigwerden seiner Anwälte und gab den Auftrag, gegen sämtliche Händler vorzugehen. Unter dem 12.06.2015 übersandten die Anwälte eine Vorschussrechnung über 35.700,00 € brutto, die auch am 18.06.2015 gezahlt wurde. Am 23.06.2015 startete dann eine Abmahnserie, wobei die Abmahnungen nicht nur die beiden beauftragten Punkte enthielten, sondern weitere tatsächliche oder vermeintliche Wettbewerbsverstöße. Es waren wohl „durchschnittlich 3-7“ solcher Beanstandungen, die natürlich auch die Gegenstandswerte und damit die Abmahngebühren erhöhten. Etwa 15 Abmahnungen konnten dem Gericht zunächst vorgelegt werden. Sie enthielten Gegenstandswerte zwischen 20.000 Euro und 30.000 Euro. Die Anzahl erhöhte sich dann später zunächst auf über 40 Abmahnungen und erreichte dann nach den Urteilsgründen des OLG Hamm eine Anzahl von mehr als 200 Abmahnungen.

Kein vernünftiges Verhältnis

Das war dann auch in den Augen der Richter des OLG Hamm zu viel des Guten. Dazu muss man wissen, dass Gerichte nur äußerst zurückhaltend mit dem Missbrauchsargument umgehen. Die gesetzliche Grundlage:

„Nach § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG ist die Geltendmachung eines wettbewerbsrechtlichen Unter­lassungs­anspruches unzulässig, wenn sie unter Berücksichtigung der gesamten Umstände (rechts-)missbräuchlich ist ... Als typischen Beispielsfall für Rechtsmissbrauch benennt § 8 Abs. 4 Satz 1 UWG die Geltendmachung eines Anspruchs, die vorwiegend dazu dient, gegen den Zuwider­handelnden einen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen oder Kosten der Rechtsverfolgung entstehen zu lassen, wobei dies in gleicher Weise für das Interesse, Ansprüche auf Zahlung von Vertragsstrafen entstehen zu lassen, gilt ...“

Der Umfang der Abmahntätigkeit im Monat Juni mit damals mehr als 40 Abmahnungen reichte den Richtern allerdings allein nicht aus. Es müssen weitere Umstände hinzutreten. Diese Umstände lägen allerdings dann vor, wenn die Abmahntätigkeit sich derart verselbstständige, dass sie in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zur eigentlichen gewerblichen Tätigkeit des Abmahnenden stünden. Dazu zogen die Richter das Kostenrisiko heran, dass sich bereits im Juni ergeben hatte und die Eile, mit der eine möglichst große Anzahl von Abmahnungen ausgebracht wurde und zwar ohne Rücksicht auf etwaige Rückäußerungen der Abgemahnten. In einer komplexen Rechnung, die davon ausging, dass ein Drittel der Abmahnvorgänge über eine Instanz ausgefochten würde und ein weiteres Drittel über zwei Instanzen und nur unter Berücksichtigung eines jeweiligen Streitwertes von 20.000 Euro, kam das Gericht zu einem Risiko an Anwalts- und Gerichtskosten von 254.000 Euro. Dabei waren vorausgehende Verfügungsverfahren nicht einmal eingeschlossen. Zudem errechnete das Gericht mögliche Gegenansprüche und kam auf ein Risiko von fast 300.000 Euro. „Dieses Kostenrisiko stand in keinem vernünftigen wirtschaftlichen Verhältnis mehr zu der eigentlichen wirtschaftlichen Betätigung der Verfügungsklägerin.“ Daran änderte auch der Einwand des Abmahners nichts, er werde 2015 einen Umsatz mit Briefkästen von 500.000 Euro erzielen. Die Richter stellten anhand von älteren Angaben aus 2012 und 2013 lediglich Jahresüberschüsse von knapp 6.000 Euro bzw. ca. 5.500 Euro und Eigenkapital von rund 300.000 Euro fest. Selbst bei der Annahme, dass sich diese Zahlen allein aus Briefkastenverkäufen herleiten ließen, bestünden zwischen diesem Geschäft und der Abmahntätigkeit „kein auch nur ansatzweise kaufmännisch vernünftiges Verhältnis mehr…. Ein vernünftig handelnder Kaufmann in der wirtschaftlichen Situation der Verfügungsklägerin – zumal bei ohnehin steigendem Absatz in dem betreffenden Marktsegment – hätte sein Kostenrisiko durch ein gestaffeltes und zeitlich gestrecktes Vorgehen bei der Abmahnung von Mitbewerbern minimiert und nicht eine derart umfangreiche Abmahntätigkeit innerhalb kürzester Zeit wie die Verfügungsklägerin entfaltet.“

Fazit

Hier hat es jemanden erwischt, der das grundsätzlich vernünftige Instrument der Abmahnung in kaum vorstellbarem Ausmaß zum Geschäftsmodell gemacht hatte. Die OLG Richter hatten bei ihren Erwägungen vorwiegend günstige Annahmen zugrunde gelegt und beispielsweise ab Augst 2015 versandte Abmahnungen „an „I-bau“-Baumärkte nicht einbezogen. Das Problem für den Abgemahnten besteht immer darin, dass ihm solche Daten in der meist geringen Reaktionsfrist weniger Tage nicht vorliegen. Nur wer sich für den Gerichts­weg entscheidet, hat eine Chance, solche Dinge aufzudecken und selbst dann braucht man schon mal den Atem bis in die zweite Instanz.


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