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Schätzungsbefugnis bei unvollständigen Buchführungsunterlagen

12.10.2010  — Udo Cremer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Praxisnah erläutert von Ihrem Steuer- und Bilanzexperten Udo Cremer.

Die Kläger sind Eheleute, die in den Streitjahren 1995 bis 1998 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Beklagte, das FA, berücksichtigte in den Streitjahren 1995 und 1996 die einheitlich und gesondert festgestellten Einkünfte des Klägers aus der R-GbR (GbR). Hinsichtlich des Streitjahres 1997 schätzte und erklärte der Kläger aus dem nunmehr als Rechtsnachfolger der GbR betriebenen Einzelunternehmen einen Verlust von 4.000 DM. Für das Streitjahr 1998 ermittelte der Kläger einen Verlust aus dieser Tätigkeit in Höhe von 10.484 DM. Im Rahmen einer Betriebsprüfung kam die Prüferin zum Ergebnis, die Aufzeichnungen des Antragstellers seien nicht ordnungsgemäß. Sie schätzte daraufhin die Einkünfte des Antragstellers aus Gewerbebetrieb für 1997 auf 10.645 DM und für 1998 auf 23.784 DM. Mit den dagegen eingelegten Einsprüchen hatten die Antragsteller keinen Erfolg.

Das FG hat die Klage der Kläger als unbegründet abgewiesen. In Bezug auf die Streitjahre 1995 und 1996 wies das FG auf die Bindungswirkung der Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen hin, die der GbR gegenüber ergangen sind. Hinsichtlich der beiden Folgejahre ist die vorgenommene Schätzung nicht rechtswidrig. Unstreitig lagen keine vollständigen Buchführungsunterlagen vor, so dass das FA die Befugnis zur Schätzung gehabt hat. Der Umstand, dass die Unterlagen von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt oder, wie vom Antragsteller vorgetragen, für diese Jahre entwendet worden seien, hindere die Schätzung nicht. Auch wenn das FG nicht ausschließen kann, dass nicht alle ursprünglich beschlagnahmten Unterlagen tatsächlich noch vorliegen oder auch an den Kläger nach Abschluss des Strafverfahrens wieder herausgegeben worden sind, bedeute dies nicht, dass die Schätzungsbefugnis des FA nicht gegeben ist. Das Risiko des Verlustes von Buchführungsunterlagen fällt grundsätzlich in die Risikosphäre des Steuerpflichtigen. Die Höhe der vom FA vorgenommenen Schätzung ist im Ergebnis zutreffend, auch wenn das FG in einigen Punkten von der Schätzung des FA abweicht.

Die Nichtzulassungsbeschwerde durch die Kläger wird vom BFH abgewiesen (BFH-Beschluss vom 19.7.2010, X S 10/10), weil die beabsichtigte Nichtzulassungsbeschwerde nach der gebotenen summarischen Prüfung keine Aussicht auf Erfolg hätte.

Der vorliegende Sachverhalt wirft keine über den spezifisch gelagerten Einzelfall hinausreichende allgemein bedeutsame Rechtsfrage auf, welche die Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und/oder Nr. 2 Alternative 1 FGO gebietet. Der Senat vermag nicht zu erkennen, dass das FG mit einem bestimmten, in dem angegriffenen Urteil aufgestellten tragenden und abstrakten Rechtssatz von der Entscheidung eines anderen Gerichts zu derselben Rechtsfrage abgewichen wäre. Auch ein erheblicher Rechtsanwendungsfehler des FG bei der Schätzung des Gewinns wird von den Antragstellern nicht hinreichend dargelegt bzw. liegt ein solcher Fehler nicht vor.

Die Rüge der falschen Rechtsanwendung und tatsächlichen Würdigung des Streitfalles durch das FG im Rahmen einer Schätzung ist zwar im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt insbesondere für Einwände gegen die Richtigkeit von Steuerschätzungen (Verstöße gegen anerkannte Schätzungsgrundsätze, Denkgesetze und Erfahrungssätze sowie materielle Rechtsfehler). Ein zur Zulassung der Revision berechtigender erheblicher Rechtsfehler aufgrund objektiver Willkür kann aber in den Fällen bejaht werden, in denen das Schätzungsergebnis des FG wirtschaftlich unmöglich und damit schlechthin unvertretbar ist. Die Antragsteller erheben Einwände gegen die Schätzung, die sich vor allem auf die Befugnis zur Schätzung beziehen. Soweit sie behaupten, das FA und auch das FG seien zur Schätzung nicht befugt gewesen, weil die Schätzungsbefugnis aus der von Amts wegen vereitelten Möglichkeit der Antragsteller, die notwendigen Unterlagen vorzulegen, abgeleitet werde, übersehen sie, dass nach den Feststellungen des FG bei dem Antragsteller unstreitig keine vollständigen Buchführungsunterlagen vorgelegen haben. Die Besteuerungsgrundlagen waren infolgedessen nach § 162 Abs. 2 Satz 2 AO im Schätzungswege festzustellen, unabhängig davon, aus welchen Gründen die erforderlichen Unterlagen und Aufzeichnungen für Zwecke der Besteuerung nicht vorgelegt werden können; es kommt dabei nicht auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen an.

Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Antragsteller ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die Gewährung des rechtlichen Gehörs besteht nach § 96 Abs. 2 FGO in der Verschaffung einer ausreichenden Gelegenheit zur Äußerung zu allen entscheidungserheblichen Tatsachen. Diese Gelegenheit zur Äußerung wird dem Beteiligten grundsätzlich durch die mündliche Verhandlung gegeben. Inwieweit diese Gelegenheit wahrgenommen wird, ist Sache des Beteiligten. Durch seine prozessuale Mitverantwortung wird der Anspruch auf rechtliches Gehör begrenzt. Der Beteiligte hat alles in seinen Kräften Stehende und nach Lage der Dinge Erforderliche zu tun, um sich rechtliches Gehör zu verschaffen. Daran fehlt es aber, wenn, wie im Streitfall die Antragsteller, trotz rechtzeitiger und ordnungsgemäßer Ladung nicht zur mündlichen Verhandlung erscheinen.

Quelle: Udo Cremer

Der Autor:

Udo Cremer ist geprüfter Bilanzbuchhalter (IHK) und hat die Steuerberaterprüfung mit Erfolg abgelegt. Er ist als Dozent für Steuer- und Wirtschaftsrecht tätig und veröffentlicht seit mehreren Jahren praxisorientierte Fachbücher zu den Themen Buchführung, Kostenrechnung, Preiskalkulation, Kennzahlen, Jahresabschluss und Steuerrecht. Daneben wirkt er als Autor an zahlreichen Fachzeitschriften und Loseblattsammlungen im Bereich der Buchhaltung und des Steuerrechts mit.
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