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Spargelzeit

30.05.2013  — Martina Morf-Koller.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Pünktlich zur Spargelzeit: Unsere Ernährungsexpertin Dr. Martina Morf-Koller nimmt ein beliebtes Saisongemüse unter die Lupe.

Liebe Leserin, lieber Leser,

wussten Sie, dass es eine deutsche Bleichspargelsorte gibt, die auf den Namen „Hannibal“ hört? Oder einen Grünspargel, der „Schneewittchen“ heißt? Steffis Sohn Finn ist ganz erpicht darauf, uns an seiner Sachkundemappe teilhaben zu lassen. Ich gebe meine Wissenslücke zu und mache ihm damit eine große Freude, auch weil ich die Hoffnung hege, er möge sich dann schneller in sein Zimmer verziehen und das Belauschen unseres Gesprächs einstellen. Leider muss Steffi gerade mal ans Telefon und so habe ich seine volle Aufmerksamkeit. „Frischer Spargel quietscht, hat meine Lehrerin gesagt. Tut ihm das denn weh, wenn man ihn aus dem Boden ausreißt?“, will Finn wissen. Ich erkläre ihm, dass das Quietschen auftritt, wenn man zwei ganz frische Spargelstangen aneinander reibt. Sozusagen als Qualitätsmerkmal. Außerdem wird Spargel bei der Ernte gestochen. „Das esse ich nie wieder! Wenn die den einfach lebend erstechen.“ Finn ist entsetzt. Ich schlage vor, doch einmal mit der Klasse einen Spargelhof zu besuchen und sich alles zeigen zu lassen (die Lehrerin wird bestimmt begeistert sein).

Dann blättere ich brav durch die Mappe. Ich sehe einen unterirdischen Wurzelstock, aus dem der Stängelspross nach oben strebt. Finn hat auch das Spargelkraut gemalt, welches der Spargelesser allerdings nie zu Gesicht bekommt. Außer vielleicht im Blumenladen als Grünschmuck in Sträußen. Und dann ist da ein dreigeteiltes Bild mit einem Spross kurz vor dem Durchbruch, einem an der Erdoberfläche und einem, der schon höher gewachsen ist. Den ersten hat Finn weiß gelassen, den zweiten oben mit roten Punkten versehen, den dritten orange-grün geringelt. „Da stimmt doch was nicht“, merke ich vorsichtig an. Der Lehrerin war es wohl ebenfalls schon aufgefallen, denn sie hatte es mit einem großen „F“ versehen. Beleidigt nörgelt Finn: „Ich sollte ihn lila machen. Das mache ich nicht, das ist eine Mädchenfarbe. Und nur grün ist langweilig. Das habe ich ihr auch gesagt, aber sie hat was gegen Kreative oder wie die heißen. Das sagt Papa auch immer“. Ich verkneife mir mein Grinsen und freue mich, dass Steffi wieder im Wohnzimmer erscheint. Mit einem: „Die Spargelzeit ist noch nicht zu Ende, nur dass ihr das wisst!“ verschwindet Finn schnell mit seiner Mappe.

Wenn der Spargel ans Licht kommt, beginnt die Pflanze mit der Photosynthese, der Spargel färbt sich dann über lila nach grün. Die hier verkauften grünen Sorten sind aber keinesfalls vergessene Stangen, sondern Extrazüchtungen, die ohne Erdwall angebaut werden. Das macht Anbau und Ernte einfacher, senkt deshalb den Preis. Grünspargel kommt in Deutschland noch nicht so häufig auf den Tisch, dabei eignet er sich für alle Spargelgerichte. Er hat eine kürzere Garzeit und muss (wenn überhaupt) nur am unteren Ende geschält werden. Man kann ihn auch einfach mal roh anbraten. Grünspargel ist kräftig im Geschmack, dabei weniger faserig und schlanker in der Form. Ernährungsphysiologisch ist er wertvoller, denn er enthält mehr Vitamin C und Karotinoide als Bleichspargel. Der Kochprofi kocht Spargel stehend in einem Siebeinsatz mit den Füßen im Wasser und dem Kopf im Dampf.

Finn kehrt ohne Mappe zurück: „Meine Lehrerin behauptet, dass das nicht bei allen Menschen komisch riecht, wenn die nach der Spargelsuppe pinkeln. Das hat was mit irgendwelchen Geneten zu tun. Manche haben welche und manche nicht, hat sie gesagt. Ich hab doch hoffentlich Genete, oder fehlt mir was? “ Finn betrachtet sich suchend im Wohnzimmerspiegel. Wir können ihm beide versichern, dass alles Wichtige da ist, was er braucht, und man die Gene im Spiegel sowieso nicht sehen kann. Schon allein diese Tatsache macht das Thema spontan derart uninteressant, dass Finn endgültig in seinem Zimmer verschwindet. Es sind übrigens fast 50% der Spargelesser, denen man das gegessene Gericht nicht am Geruch des Urins nachweisen kann. Ihnen fehlt genetisch bedingt ein Enzym zum Abbau einiger schwefelhaltiger Spargelaromastoffe. So entsteht der Geruchsstoff im Stoffwechsel gar nicht erst.

Steffi verrät mir, dass Finn fünf Leute befragen sollte, ob und warum sie Spargel mögen oder eben auch nicht. Finn habe die ganze Familie damit genervt. „Willst du wissen, was mein Mann geschrieben hat, nur um die Lehrerin zu ärgern?“, fragt sie mich. Klar will ich. Und so lese ich: „Unser Verdauungsapparat kann nur diejenigen Nahrungsmittel natürlich verarbeiten, denen er seit hunderten von Generationen freundschaftlich verbunden ist, sagte schon Georgios Pandalis. Und ich glaube nicht, dass unsere frühen Vorfahren mit einem Stechmesser auf Verdacht an Erdhügeln nach bleichen, zähen, faserigen Stangen gejagt haben, die bitter schmeckten, sich schlecht kauen ließen und roh gegessen heftige Verdauungsbeschwerden nach sich zogen.“

Übrigens, wirklich bitter schmeckt Spargel nur, wenn er zu dicht am Wurzelstock gestochen wurde. Da hilft dann leider auch kein Zucker mehr im Wasser, sondern nur noch großzügiges Kürzen. In diesem Sinn noch eine schöne Spargelzeit!

Ihre Martina Morf-Koller

 

Die Autorin:

lebt mit Mann und Kind in Hamburg-Bergedorf und arbeitet dort als Heilpraktikerin in eigener Praxis. Sie hat sich auf Beschwerden und Schmerzen des Bewegungssystems spezialisiert. Dabei behandelt sie Muskeln, Gelenke, Wirbelsäule und fasziale Netzwerke manuell und vermittelt alltagsbezogene ökonomische Bewegungsformen um die Körperstruktur nachhaltig zu verbessern. In klientenzentrierter Gesprächstherapie entwickelt sie mit Patienten individuelle Strategien zur Stressbewältigung. Als Ernährungsberaterin liebt sie es außerdem Wissenswertes zum Thema „gesunde Ernährung“ humorvoll aufzubereiten und praxistauglich ihren Patienten näherzubringen. Ernährungsberatung soll auf jeden Fall Genuss, Lebensfreude und auch Spaß vermitteln, denn sonst kommt das Wissen nicht an.
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