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Stuttgart 21 nach der Volksabstimmung

01.12.2011  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.

Eine Presseschau zum weiter umstrittenen Bauprojekt

Düsseldorf, Bielefeld, Osnabrück, Düsseldorf (ots) - Die Rheinische Post sieht "schlechte Verlierer in Stuttgart":

Auch, aber nicht nur an die Adresse der Medien: Wer am lautesten schreit in der Fernsehdemokratie, hat längst nicht immer recht. Bei den Protesten gegen den Bau des unterirdischen Stuttgarter Bahnhofs konnte man den Eindruck gewinnen, wir lebten in der Wutbürger-Republik. Umfragen mit dem Ergebnis, die Mehrheit der Menschen in Baden-Württemberg sei für "Stuttgart 21", wurden als gekaufte Stimmungsmache abgetan, nicht in dieser Zeitung, aber im publizistischen Mainstream.

Nun hat eine Volksabstimmung das Projekt bestätigt, Wissenschaftler, Politologen und das Orakel Heiner Geißler können ihre Analysen wegwerfen. Einigen fällt das schwer: Der grüne Teil der Landesregierung, die "Parkschützer" und sie unterstützende wichtigtuerische Schauspieler kommen nicht klar mit Volkes Stimme. Besonders die groteske Umdeutung des Votums durch die Grünen in einen Sieg der Grünen wirkt so peinlich, wie es in jüngster Zeit sonst nur die FDP war. Der grüne Verkehrsminister, der sich den Kampf gegen "Stuttgart 21" zur vorrangigen Aufgabe machte, klebt an seinem Stuhl wie Lukas auf der Lokomotive. Ministerpräsident Kretschmann sieht noch älter aus, als er ist. Der Streit um Mehrkosten, ohne dass ein Bagger wieder angerollt wäre, wirkt da nur noch wie der traurige Aufstand der beleidigten Leberwürste von Stuttgart.

Die Neue Westfälische aus Bielefeld macht sich Gedanken über die Konsequenzen des Abstimmungsergebnisses:

So hat sich Winfried Hermann, bekennender Bahnfan und ebenso streitbarer Gegner des Bahnhofs-Großprojektes Stuttgart 21, das nicht vorgestellt. Jetzt muss der grüne Verkehrsminister Baden-Württembergs genau das Projekt umsetzen, das er lange Zeit bis aufs Messer bekämpft hat. Eine "krachende Niederlage" nennen das politische Beobachter wohl. Mit exakt den gleichen Worten kommentierte Hamburgs Grünenchefin Katharina Fegebank Ende September 2008 den Umstand, dass die grüne Umweltsenatorin Anja Hajduk das in der Hansestadt umstrittene Kohlekraftwerk Moorburg genehmigte - wenn auch unter Auflagen. Der Vorgängersenat unter Ole von Beust (CDU) hatte die Weichen fürs Kraftwerk gestellt, ein Gericht die Pläne bestätigt. Der grünen Senatorin und erklärten Kraftwerksgegnerin blieb keine andere Wahl als die Pläne umzusetzen.

Der Grundsatz "Pacta sunt servanda" (Verträge sind einzuhalten) gilt nun auch für Winfried Hermann. Das Projekt Stuttgart 21 ist rechtsstaatlich einwandfrei auf den Weg gebracht worden und hat im Bürgerentscheid zudem eine glatte Mehrheit bekommen. Das Beispiel Hajduk zeigt, dass ein Rücktritt Hermanns deshalb nun kein Automatismus sein muss. Allerdings wird der Verkehrsminister beweisen müssen, was es heißt, dass er den Bau des unterirdischen, 4,5 Milliarden teuren Bahnhofs nun "konstruktiv und kritisch" begleiten will. Er kann es sich, auch wegen des Friedens in der Koalition mit der SPD, die das Projekt stets befürwortete, nicht leisten, es aus dem Ministerium heraus zu torpedieren. Ob Stuttgart 21, wie Befürworter sagen, "das neue Herz Europas" oder ein milliardenschweres Leuchtturmprojekt wird, das der Bahn aus der Fläche Geld abzieht, mit dem sie dutzende kleinerer und mittlerer Bahnhöfe sanieren könnte - diese Frage wird die Zukunft beantworten.

Die Neue Osnabrücker Zeitung kommentiert:

Das Volk hat entschieden, und die Politiker haben sich aufgrund der demokratischen Spielregeln daran zu halten. Für die Gegner von Stuttgart 21 ist es eine herbe Schlappe. Wer geradlinig an die Einfachheit der Dinge und Entscheidungen mit direkten Auswirkungen glaubt, kann jetzt von einem zügigen Bau des Bahnprojektes Stuttgart 21 ausgehen. Es ist spätestens seit gestern Abend abermals demokratisch legitimiert und mit durchzusetzenden Gesetzen untermauert. Die schwache Wahlbeteiligung ist auch eine Entscheidung für Stuttgart 21, die Bürger in Baden-Württemberg sind die Diskussionen um den Hauptstadtbahnhof leid. Ihnen sind Euro-Krise, Bildung und Arbeitsplätze wichtiger.

Aber im verzwickten Stuttgart-21-Prozess ist wenig geradlinig, vieles unklar, manches unehrlich. Allein schon der Stimmzettel zum Volksentscheid: Wer für den Weiterbau war, musste Nein ankreuzen, für den Ausstieg stand ein Ja. Juristisch war dies notwendig, weil nur Umwege in der Landesverfassung das Plebiszit möglich machten. Klarheit wird anders geschrieben.

Die grün-rote Landesregierung steht nun vor ihrer Nagelprobe, der erste Grünen-Ministerpräsident des Ländle vor seiner größten Herausforderung. Die Grünen sind mit dem Versprechen in die Landtagswahl gegangen, Stuttgart 21 zu verhindern, die SPD ist mit einem klaren Bekenntnis für das 4,5-Milliarden-Projekt in die Koalition eingestiegen. Nun gilt es, das Votum des Volkes zu respektieren und Stuttgart 21 zügig zu bauen.

"Direkte Demokratie geht anders", findet die Westdeutsche Zeitung. Der Volksentscheid in Stuttgart sei alles andere als ein Vorbild:

Nur Weltfremde glauben, Stuttgart 21 sei ein Musterbeispiel für direkte Demokratie. Zwar beeindruckt auf den ersten Blick die Entwicklung, die morgen in einen bundesweit beachteten Volksentscheid mündet: Ausgerechnet in einer der traditionellsten Ecken Deutschlands, die man eher mit Kehrwoche, Spießigkeit und Langeweile verbindet, reifte eine neue Protestkultur heran. Schon 100 Mal demonstrierten vor allem sehr bürgerliche Kreise. Und Stuttgart 21 hat dazu beigetragen, dass Baden-Württemberg einen grünen Ministerpräsidenten erhielt. Das hätte vor wenigen Jahren keiner erwartet.

Dennoch taugt der Volksentscheid nicht als Beispiel dafür, wie sich Volksmeinung Bahn verschafft. Dem steht die Landesverfassung entgegen, die die Hürde für einen Erfolg extrem hoch legt. Denn selbst wenn die Bahnhofs-Gegner deutlich gewinnen, hilft ihnen das nichts, wenn sie nicht ein Drittel der Wahlberechtigten für sich mobilisieren. Eine so zu Stande gekommene Niederlage würde Frustration und im schlimmsten Fall blinde Wut erzeugen. Hinzu kommt eine verwirrende Formulierung auf dem Stimmzettel, die Kreuze am falschen Platz wahrscheinlich macht. Viele werden das Ergebnis deshalb nicht akzeptieren wollen.

Aus einem zweiten Grund ist Stuttgart 21 kein Modell für eine direkte Demokratie, sondern könnte sogar demokratischen Prinzipien widersprechen. Im Gegensatz zu anderen Volksentscheiden wird über eine Maßnahme abgestimmt, die längst im Bau ist. Das ist zu spät, zumal die Entscheidung vorher korrekt nach den parlamentarischen Spielregeln ablief. Insofern könnte Stuttgart sogar ein gefährliches Signal für ganz Deutschland sein: Wenn sich nur genügend Protestierende vehement gegen ein längst genehmigtes und gestartetes Projekt aussprechen, kann es kippen. Das würde Kommunen und Unternehmen ihre Planungssicherheit rauben und Milliarden kosten.

Wenn ein Volksentscheid sinnvoll sein soll, dann sollte er anders als dieser ablaufen. Man muss die Menschen rechtzeitig fragen und auf Verständlichkeit achten. In Stuttgart hätte ein Blick ins benachbarte Bayern genügt. Dort funktionieren Volksentscheide seit 1946 - außer bei Verfassungsänderungen - nach einfacheren Regeln.

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Quellen: Rheinische Post / Neue Westfälische / Neue Osnabrücker Zeitung / Westdeutsche Zeitung

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