01.09.2015 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Friedrich-Schiller-Universität Jena.
In Deutschland gibt es über eine Million Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH). Wenn eine GmbH regelmäßig mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt, muss ihr Aufsichtsrat auch mit Arbeitnehmervertretern besetzt sein. „Gesetzliche Grundlage hierfür ist das Drittelbeteiligungsgesetz, das für solche Gesellschaften jeden dritten Aufsichtsratssitz für einen Vertreter der Arbeitnehmer vorsieht“, erläutert Prof. Dr. Walter Bayer von der Friedrich-Schiller-Universität Jena (FSU). Unter Umständen sei sogar jeder zweite Aufsichtsratssitz für die Arbeitnehmerseite reserviert, soweit die GmbH an der Spitze eines Konzerns mit insgesamt regelmäßig mehr als 2.000 inländischen Beschäftigten stehe, so der Rechtswissenschaftler. „Ausnahmen bilden lediglich sogenannte ,tendenzgeschützte‘ Gesellschaften, wozu beispielsweise Unternehmen aus dem Gemeinnützigkeitsbereich zählen.“
Eine aktuelle Studie des Instituts für Rechtstatsachenforschung zum Deutschen und Europäischen Unternehmensrecht der FSU zeigt jedoch, dass die gesetzlichen Vorgaben für die Arbeitnehmermitbestimmung in der Praxis weitgehend ignoriert werden. „Es besteht eine massive Mitbestimmungslücke in der deutschen GmbH-Landschaft“, konstatiert Institutsdirektor Bayer, der die Studie geleitet hat. Dabei wurden exemplarisch die Mitbestimmungsverhältnisse von nicht unter den Tendenzschutz fallenden Gesellschaften mit beschränkter Haftung analysiert, die Einzelabschlüsse veröffentlicht haben und zwischen 750 und 1.250 Arbeitnehmer aufweisen. Bei diesen hätte ein auch mit Arbeitnehmervertretern besetzter Aufsichtsrat festgestellt werden müssen. „Doch bei etwa der Hälfte dieser Gesellschaften existiert kein mitbestimmter Aufsichtsrat“, so Bayer.
Besonders groß sei die Mitbestimmungslücke bei Unternehmen aus dem Handels- und Dienstleistungssektor (67 Prozent), wohingegen sie im Industriebereich bei 37 Prozent lag. „Vielen GmbH-Geschäftsführern scheint nicht bewusst zu sein, dass sie eine Pflichtverletzung begehen und sich unter Umständen sogar schadensersatzpflichtig machen, wenn sie nicht auf die Installation der gesetzlich verankerten Arbeitnehmermitbestimmung in ihrem Unternehmen hinwirken“, vermutet Prof. Bayer.
Bedenklich sei die großflächige Mitbestimmungslücke aktuell auch vor dem Hintergrund der Bemühungen, die Teilhabe von Frauen an Führungspositionen der Wirtschaft zu verbessern. Denn: Nur solche GmbHs, die auch tatsächlich der unternehmerischen Mitbestimmung unterliegen, kommen für die Anwendung der Frauenquote in Frage. Wenn jedoch trotz gesetzlicher Vorgaben keine Arbeitnehmermitbestimmung eingerichtet worden ist, fehle auch die Grundlage für die Anwendung der Frauenquote.
Die Studie des Instituts für Rechtstatsachenforschung zum Deutschen und Europäischen Unternehmensrecht zur Mitbestimmungssituation in der GmbH-Landschaft wird in der Ausgabe 17/2015 der juristischen Fachzeitschrift „GmbH-Rundschau“ (GmbHR) veröffentlicht.
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