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'wirkt!'

10.05.2012  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Hochschule Bochum.

Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Projektentwickler oder Architekten: Symposium zur Wirkung von Architektur mit Tiefgang

Von Jan R. Krause

Architektur wirkt. So lautete die hoffnungsvolle These eines Symposiums Ende April an der Hochschule Bochum. Initiiert vom Masterstudiengang MAE – Architektur:ProjektEntwicklung sprachen renommierte Stadtplaner, Architekten, Investoren und Journalisten über den Zustand der Städte und der Gesellschaft. In weißen Kitteln traten die Referenten vor das Auditorium, um ihre Diagnosen und ihre Therapien vorzustellen. Allgemeines Fazit: Architektur kann etwas bewirken, was über reine Funktionserfüllung hinausgeht. Ob man tatsächlich von einem heilsamen Effekt sprechen kann, bleibt am Einzelfall zu überprüfen. Es gibt sie jedenfalls, diese erfolgreichen bzw. folgenreichen Einzelfälle. Und das ist die ermutigende Erkenntnis und Botschaft aus Bochum: gute Ideen wirken ansteckend – im positiven Sinne. Wie bei medizinischen Heilmitteln gibt es aber auch in der Architektur die Erfahrung mit resistenten Keimen, denen selbst mit den besten Behandlungsmethoden nicht beizukommen ist.

Gastgeber Professor Xaver Egger stellte die Frage in den Raum, „was wir mit architektonischen Projekten, eigentlich bewirken möchten. Und welche Verantwortung wir als Architekten gegenüber der Gesellschaft tragen, deren gebaute Umwelt wir mitprägen.“ Sein Masterstudiengang MAE – Architektur:ProjektEntwicklung spannt den Bogen von den demografischen Fragen unserer Zeit über urbanistische Lösungsansätze, die Analyse von Standorten und Wettbewerbssituationen bis hin zur konkreten Entwicklung von Projekten einschließlich Rendite- und Investitionsberechnungen, Aufzeigen von Finanzierungsmöglichkeiten und Public Private Partnership-Modellen. Eggers Ziel ist es, mit der Architekturausbildung an der Hochschule Bochum etwas zu bewirken. Er verwies darauf, dass die beiden Masterstudiengänge Architektur:ProjektEntwicklung und Architektur Media Management, die in ihrer Art und Ausprägung bundesweit ihresgleichen suchen, wesentlichen Anteil daran hätten, dass die BO seit Jahren auf den vorderen Plätze im Hochschulranking zu finden ist.

Wurde beim letztjährigen MAE-Symposium die Frage gestellt, wem die Stadt gehört, so wurde dieses Jahr kritisch hinterfragt, wie Architektur wirkt. „Lassen Sie uns also über Wirkung sprechen oder noch besser, lassen Sie uns Wirkung zeigen! Lassen Sie uns politisch sein, da Architektur immer ein gebautes Manifest ist und somit politisch“, forderte Egger Referenten und Zuhörer auf. Er verwies auf die Eigendynamik der Elbphilharmonie in Hamburg und fragte ins Publikum, welches andere Gebäude, das noch nicht einmal fertiggestellt ist, bereits solche Wirkung zeigt. Als weiteres Beispiel identifizierte er die Autowerbung und stellte die provokante Frage, „Warum verkauft man mit den Spots die hässlichsten Autos, nicht aber die coolen Häuser, vor denen sie inszeniert werden?“

Unter der Moderation von Arch+ Chefredakteur Nikolaus Kuhnert entwickelte sich ein spannender Dialog, bei dem es um mehr ging als Mission Statements, Claims und Naming von Townhouse Projekten, um mehr als ikonische Architektur als Allheilmittel von Stadt- und Regionalmarketing, um mehr als Kulissenhaftigkeit eines New Urbanism. Xaver Egger formulierte in seiner einleitenden Diagnose treffend: „In einer Zeit, in der wir uns vom Consumer zum Prosumer gemausert haben, in der wir wissen, wie die Gesellschaft sich künftig demografisch zusammensetzen wird, geht es darum, wie die Stadt von morgen aussehen wird, in der wir gerne leben möchten.“

Andreas Röhring vom Leibniz Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung aus Berlin eröffnete die Veranstaltung mit Ergebnissen aus der raumwissenschaftlichen Forschung über demographischen Wandel und Abwanderung. „Nachnutzung durch Strukturwandel“ sieht er als große Herausforderung in der Stadt- und Regionalentwicklung und als die künftigen Handlungsfelder junger Architekten. Als Beispiele für die Anpassungserfordernisse stellte er die Konversion ehemals militärisch genutzter Areale und die Bergbaufolgelandschaften in Deutschland vor. Diese Darstellung der Komplexität globaler Entwicklungen und ihrer regionalen Ausprägungen bildete den Rahmen für die folgenden Referenten, die sich aus verschiedenen Perspektiven dem Phänomen architektonischer Interventionen widmeten.

Andrea Hofmann vom Raumlabor Berlin erklärte Architektur zum Forschungsgegenstand: „Wir bilden ein Aktionsbündnis zwischen lokalen Akteuren und externen Spezialisten. So entdecken wir neuen Handlungsraum und öffnen Pionierfelder, die wir gemeinsam testen und auf ihre Zukunftsfähigkeit untersuchen. Wir nennen das forschungsbasiertes Gestalten.“ Seit 1999 arbeitet das Raumlabor an den Schnittstellen zwischen Architektur, Stadtplanung, Kunst und Intervention. Orte, die aufgegeben sind aber für die Stadtgestalt noch immer eine Relevanz haben, bieten ungenutzte Potentiale, die das Raumlabor zu aktivieren versucht. Das öffnet neue Perspektiven für alternative Nutzungsmuster, eine gemeinsame Kultur, urbane Diversität und Differenz. Mit ihrer Methode und ihren Projekten begeisterte Andrea Hofmann die Zuhörer. Ihre temporären Installationen im Stadtraum trafen den Konferenztitel „wirkt!“ auf den Punkt. Bekannt geworden ist das Raumlabor vor allem mit dem „Küchenmonument“, einer mobilen Skulptur, die in zwei Zuständen existiert: eine mit Zinkblech verkleidete Box und eine pneumatische Raumhülle, die die Skulptur im öffentlichen Raum zum Werkzeug temporärer Gemeinschaften erweitert. Die Bandbreite der Einsatzmöglichkeiten reicht vom Bankettsaal für Festessen, zum Konferenzraum, über ein Ballhaus bis zur Boxarena. In Parks und unter Brücken, auf Brachen und auf Spielplätzen hat das Raumlabor mit diesem Raumexperiment auf verborgene Qualitäten von Orten aufmerksam gemacht. Mit spektakulären Bildern und stimulierenden Videos belegte Andrea Hofmann, dass Architektur tatsächlich etwas bewirken kann. Offen blieb die Frage, wie nachhaltig sich diese temporären Interventionen im Stadtraum auswirken. Unbestritten aber ist, dass es dem Raumlabor an vielen Orten gelungen ist, Impulse in die Stadtgesellschaft zu senden, die zu einer neuen Wahrnehmung städtischer Räume anregen. „Schwierige städtische Orte ziehen uns förmlich an“, war dann auch ihr Tenor und dass es keine Nichtorte gäbe, an denen man nichts bewirken kann.

Als präziser Analytiker städtischer Entwicklungen sprach Christoph Twickel, Journalist, Radiomoderator und Aktivist im Netzwerk „Recht auf Stadt“ in Hamburg, über die unerwünschten Nebenwirkungen von Architektur. Der Autor des Buches „Gentrifidingsbums – oder eine Stadt für alle“ beschrieb die Folgen der Architektur und Stadtplanung der 1960er Jahre in Hamburg, die seinerzeit als modern gefeiert und heute als Fehler geächtet werden. Die Freie und Hansestadt Hamburg funktioniere mittlerweile „mehr als Unternehmen denn als Kommune“, was soziale Ängste schürt und eine engagierte Bürgerschaft gegen Großprojekte und die damit oft verbundene Verdrängung formt. Am Beispiel von Stuttgart 21 illustrierte er, dass die Bürger wieder mehr Einfluss auf die Stadtentwicklung haben wollen. Wirken – im Sinne des Konferenztitels – kann hier als mitwirken interpretiert werden. In seinem Buch beschreibt Twickel die unterschiedlichen Ansätze all jener, die derzeit um die Nutzung der Städte streiten: City-Marketing und kreatives Prekariat, kommunale Stadtentwicklung und Menschen aus verschiedensten Bereichen, die "von unten" für eine Stadt für alle kämpfen. Zugleich mahnte er, dem sozialen Wohnungsbau wieder eine größere Bedeutung zu geben.

Eine ganz andere Dimension des Wohnungsbaus stelle Stefan Höglmaier, Geschäftsführer von Euroboden aus München vor. Als Premium-Bauträgergesellschaft im Luxussegment von Eigentumswohnungen hat Euroboden mehr als 260 luxuriöse Projekteinheiten realisiert. Für Höglmaier ist Architektur mehr als gestalteter Wohnraum, sie ist die „kulturelle Zusammenkunft von Ort, Raum, Geist und Zeit“. Zu den von Euroboden engagierten Architekten zählen Hild und K, Muck Petzet und Jürgen Mayer H. Sie schaffen Orte mit unverwechselbarer Identität – besondere, teils aufmerksamkeitsstarke Projekte, die sich von der Banalität mancher Investorenarchitektur wohltuend abheben. Wie nachhaltig aber ist dieses Konzept? Handelt es sich um eine vorübergehende Erscheinung, die auch dem Zeitgeist huldigt oder um Architektur mit Beispielcharakter für den zeitgenössischen Wohnungsbau? Eine abschließende Bewertung wird wohl erst die nächste Generation abgeben können. Die Wirkung solcher Architekturqualität auf Bewohner und Nachbarschaft aber ist unbestritten.

Auch die von Professorin Katharina Feldhusen vorgestellten Projekte zeugen von einer Architekturqualität, die in den Stadtraum und in die Gesellschaft wirkt. Mit ihrem Berliner Büro ff Architekten hat sie wiederholt bemerkenswerte Bauten für die öffentliche Hand realisiert. Trotz der schwierigen Haushaltssituation vieler Kommunen ist es ihr gelungen, Raumkonzepte umzusetzen, die einen erheblichen gesellschaftlichen Nutzen bringen. Besonders hervorzuheben ist hier die Wilhelm-Liebknecht-Bibliothek am Kottbusser Tor in Berlin. Der Ort hatte sich zu einem sozialen Brennpunkt mit hohem Gewaltpotenzial entwickelt. Ursprünglich nur als Fassadensanierung geplant, konnten die Architekten den öffentlichen Bauherrn früh davon überzeugen, dass auch neue Raumqualitäten im Innern zu schaffen sind. Denn die Bedeutung der Bibliothek als Ort zum Lesen hatte sich über die Jahre grundsätzlich verändert. Schon während des Planungsprozesses wurde so eine sinnvolle Auftragserweiterung bewirkt, es wurden Fördermittel erwirkt, und täglich wirkt das Haus nun mit seiner stabilisierenden Funktion als Treffpunkt an diesem urbanen Standort. Das Maß, in dem ihr Gebäude von den Nutzern angenommen wird, sieht Katharina Feldhusen als Gradmesser ihres Erfolgs.

Der Rolle des Architekten widmete sich Klaus Ronneberger im Schlussvortrag des MAE Symposiums. Der Frankfurter Soziologe ist Experte des Werks des französischen Philosophen Henri Lefebvre, der sich mit Stadtsoziologie beschäftigte. Nach einer Tour de Force durch die vergangenen einhundert Jahre Architektur- und Sozialgeschichte und deren Wechselwirkung stellte Ronneberger die Verbindung zu Jaqcues Tatis filmischen Meisterwerken „Playtime“ und „Mon Oncle“ her. Er dechiffrierte sie als Architekturkritik und als Beispiel für das Bild des Architekten in der Öffentlichkeit.

Unter reger Anteilnahme des Publikums moderierte Nikolaus Kuhnert im Anschluss gewohnt scharfzüngig eine kontrovers geführte Podiumsdiskussion mit den Referenten über die Wirkungsmechanismen von Architektur. Auch die Vizepräsidentin der Hochschule Bochum Christina Reinhardt zeigte sich sichtlich interessiert – nicht zuletzt, da die Studierenden des Masterstudiengangs Architektur:ProjektEntwicklung derzeit eine planerisch inhaltliche Vision für die Zukunft der BO entwickeln.

Eindrucksvoll haben die Referenten des MAE-Symposiums mit ihren Diagnosen und Therapieansätzen gezeigt, dass Architektur zweifellos „wirkt“. Ist der Architekt aufgrund seines schöpferischen Einflusses nun also ein „Halbgott in schwarz“? So weit würde Veranstalter Xaver Egger wohl nicht gehen. Er verwies auch auf die zufälligen, nicht geplanten und nicht zu steuernden Wirkungen in der Architektur. Doch im wesentlichen ging es ihm um die Verantwortung und um die Chance, die damit verbunden ist, sich von vornherein über die bewusste, geplante Wirkung der Architektur Gedanken zu machen. Wer in der Lage ist, diese Perspektiven, Städten, Kommunen und potenziellen Bauherren zu kommunizieren, der kann sich als Architekt und Projektentwickler attraktive neue Handlungsfelder erschließen.

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