07.08.2014 — Lars Kaupisch. Quelle: Verlag Dashöfer GmbH.
Wir haben diese Rubrik zwar "Rechtschreibtipp" getauft, aber wir finden, dass hier auch Stilfragen und der rechte Einsatz von Wörtern gut aufgehoben sind. Deshalb geht es im heutigen Rechtschreibtipp nicht darum, wie man das Wort "buchstäblich" buchstäblich richtig schreibt, sondern darum, es richtig anzuwenden.
Bleiben wir zunächst bei dem Beispiel aus der Überschrift. Was zieht Ihnen buchstäblich die Schuhe aus? In erster Linie doch Sie selbst. Wenn es hart auf hart kommt und die Schuhe zu fest sitzen, brauchen Sie dazu vielleicht noch einen Stiefelknecht oder gar eine helfende Hand. Doch im Großen und Ganzen ist das eine recht persönliche Angelegenheit.
Wer Ihnen ziemlich sicher nicht die Schuhe ausziehen wird, wäre beispielsweise der Gitarrist Ihrer Lieblingsband mit einem unfassbar guten Solo. Dann müsste er nämlich das Konzert unterbrechen und zu Ihnen ins Publikum kommen, vielleicht sogar nach Hause oder ins Auto, abhängig davon, wo Sie es hören. Er tut das nur metaphorisch.
Gemeint ist mit der Metapher vom Schuhe ausziehen, dass etwas extrem ist – extrem toll, extrem verblüffend, extrem verwerflich. Diese Extreme sollen durch die umgangssprachliche Verwendung von "buchstäblich" noch einmal betont werden, obgleich der Einsatz des Wortes hier buchstäblich (!) falsch ist.
"Buchstäblich" dient normalerweise nicht einfach als Verstärkung von Aussagen ("er war buchstäblich geblendet von ihrer Schönheit"), sondern um auszudrücken, dass etwas wirklich passiert (ist) oder dass etwas wörtlich genommen werden soll. Damit ist das Wort "buchstäblich" der Erzfeind jeder Metapher.
Zwar würden wir verstehen, was gemeint ist, wenn nach einem Marathon von den Teilnehmenden berichtet wird, dass sie "buchstäblich platt" waren, doch würde man das wörtlich nehmen, hätten die Betroffenen ernstere Probleme als ein bisschen Erschöpfung. Um das "platt" zu verstärken und die Metapher nicht zu zerstören, könnte man stattdessen beispielsweise von "vollkommen platt" sprechen.
Zu Recht anwenden könnten Sie "buchstäblich" aber zum Beispiel so: "Meine Hochzeit war buchstäblich der schönste Moment meines Lebens" – vorausgesetzt, das entspricht der Wahrheit, was wir hoffen wollen. In diesem Kontext könnte auch wieder die "buchstäblich blendende Schönheit" vorkommen. Wobei die Verstärkung der Schönheit auch durch Adjektive wie "atemberaubende" erreicht werden könnte. Sollte das "buchstäblich" stehen bleiben, müsste man eher vom Schmuck oder der Kleidung ausgehen: "Er/sie war geblendet von dem Licht, welches das herrlich geschmückte weiße Kleid reflektierte".
Es gibt übrigens auch Fälle, in denen der Einsatz von "buchstäblich" nicht buchstäblich falsch wäre, aber trotzdem die Bedeutung des Gesagten untergraben würde. Wenn Sie z. B. die Kirche metaphorisch im Dorf lassen, heißt das, dass Sie nicht übertreiben. Wenn Sie sie aber buchstäblich im Dorf lassen, dann lassen Sie sie eben stehen. Aber was hätten Sie auch sonst damit anstellen sollen?
Passen Sie also gut auf, in welchen Zusammenhängen Sie (oder andere) etwas als buchstäblich bezeichnen: Wenn Ihnen buchstäblich der Mund offen steht, weil Sie einen spektakulären Zaubertrick sehen, ist das verständlich. Wenn Sie aber für Ihr Mittagessen buchstäblich über Leichen gehen würden, weil Sie so einen Hunger haben ... nun, dann werden Sie womöglich alleine speisen müssen.
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