28.02.2014 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: Rechtsanwaltskammer Düsseldorf.
Eine Behinderung liegt vor, wenn die körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit eines Menschen langfristig eingeschränkt ist und dadurch seine Teilhabe an der Gesellschaft, wozu auch die Teilhabe am Berufsleben gehört, beeinträchtigt sein kann.
Auch ein Arbeitnehmer, der an einer symptomlosen HIVInfektion erkrankt ist, sei in diesem Sinn behindert, stellt das BAG klar. „Auch chronische Erkrankungen können zu einer Behinderung führen. Die gesellschaftliche Teilhabe von HIV-Infizierten ist typischerweise durch Stigmatisierung und soziales Vermeidungsverhalten beeinträchtigt, die auf die Furcht vor einer Infektion zurückzuführen sind,“ erläutern die Erfurter Richter. Kündige der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis eines solchen Arbeitnehmers, sei die Kündigung im Regelfall diskriminierend und damit unwirksam, wenn der Arbeitgeber durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des Arbeitnehmers trotz seiner Behinderung ermöglichen könne.
Der Urteilsfall betraf einen an einer symptomlosen HIV-Infektion erkrankten Arbeitnehmer. Dieser wurde von einem Pharma-Unternehmen, das intravenös verabreichte Arzneimittel zur Krebsbehandlung herstellt, im Jahr 2010 als chemischtechnischer Assistent für eine Tätigkeit im sog. Reinraum eingestellt. Bei der Einstellungsuntersuchung wenige Tage nach Beginn des Arbeitsverhältnisses wies der neue Mitarbeiter den Betriebsarzt auf seine Infektion hin. Der Arzt äußerte Bedenken gegen einen Einsatz des Mitarbeiters im Reinraumbereich und teilte dem Arbeitgeber nach Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht die HIV-Infektion des Arbeitnehmers mit. Noch am selben Tag kündigte das Pharma-Unternehmen das Arbeitsverhältnis ordentlich.
Wegen seiner ansteckenden Krankheit könne es den Mitarbeiter nach ihrem internen Regelwerk nicht einsetzen. Der Reinraum sei quasi ein steriler Bereich, in dem die Krebsmittel in Glasfläschchen mit Aluminiumdeckeln gefüllt würden. Dort dürften nicht einmal Mitarbeiter arbeiten, die eine Erkältung hätten.
Der HIV-infizierte Mitarbeiter zog gegen die Kündigung vor Gericht. Dort trug er zunächst vor, er sei behindert. Die Kündigung sei unwirksam, weil sie ihn wegen seiner Behinderung diskriminiere. Außerdem verlangte er eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG von drei Monatsgehältern wegen seines immateriellen Schadens.
Das BAG hob das Klage abweisende Berufungsurteil auf und verwies die Sache zur weiteren Aufklärung an das Landesarbeitsgericht zurück. Die Kündigung benachteilige den Kläger unmittelbar i.S. des § 3 Abs. 1 AGG, weil sie in untrennbarem Zusammenhang mit seiner Behinderung stehe. Ob die Kündigung gleichwohl gerechtfertigt sei, stehe noch nicht fest. Das LAG müsse noch aufklären, ob das Pharma-Unternehmen durch angemessene Vorkehrungen den Einsatz des HIV-Infizierten im Reinraum hätte ermöglichen können. Sei das nicht der Fall, sei die Kündigung wirksam. Auch die Frage, ob dem Kläger eine Entschädigung zustehe, hänge davon ab, ob die Kündigung wirksam sei.
„Im Ergebnis läuft dies darauf hinaus, dass der Arbeitgeber im Kündigungsschutzprozess beweisen muss, dass bei Einsatz des Mitarbeiters im Labor eine Ansteckungsgefahr besteht. Außerdem muss das Unternehmen beweisen, dass es keine andere Einsatzmöglichkeit für den Mitarbeiter gibt. Das werden künftig auch andere Arbeitgeber zu befolgen haben, wenn sie chronisch erkrankten Angestellten kündigen,“ kommentiert der Präsident der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf, Rechtsanwalt und Notar Herbert P. Schons ausDuisburg, die Entscheidung.
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