16.12.2024 — Online-Redaktion Verlag Dashöfer. Quelle: IBR Immobilien & Baurecht.
BGB § 558 Abs. 1 Satz 1, §§ 558a, 558b
1. Eine nicht zugegangene Mieterhöhung kann nicht im Prozess nachgeholt werden.
2. § 558b Abs. 3 BGB kann nämlich nur formelle, aber keine materiellen Fehler - wie etwa den fehlende Zugang der Erklärung - heilen.
LG Lübeck, Urteil vom 19.04.2024 - 14 S 110/22
vorhergehend: AG Reinbek, 10.11.2022 - 11 C 170/22
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis EUR 500,00 festgesetzt.
Die Parteien streiten über die Zustimmung zu einer Mieterhöhung.
Die Klägerin hat die Beklagte mit der Klageschrift vom 31.3.2022 unter Angabe von drei Vergleichswohnungen zur Zustimmung zu einer Mieterhöhung auf EUR 490,63 zum nächstmöglichen Zeitpunkt aufgefordert. Im Übrigen wird hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts Reinbek vom 10.11.2022 Bezug genommen.
Das Amtsgericht hat einen Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung nach § 558 Abs. 1 S. 1 BGB mit der Begründung abgelehnt, die Klägerin habe nicht den Bewies erbracht, dass der Beklagten das außergerichtliche Mieterhöhungsverlangen vom 18.10.2021 zugegangen sei. Das mit der Klageschrift vorsorglich ausgesprochene Mieterhöhungsverlangen begründe ebenfalls keinen Anspruch auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung, da eine Heilung nach § 558b Abs. 3 BGB nur in Betracht komme, wenn der Klage ein Mieterhöhungsverlangen vorausgegangen sei, das den formellen Anforderungen des § 558a BGB nicht entspreche. Zustellungsmängel könnten dagegen nicht geheilt werden. Überdies sei das mit der Klageschrift geäußerte Mieterhöhungsverlangen nicht hinreichend begründet. Eine Bezugnahme auf das vorherige Mieterhöhungsverlangen sei unzulässig.
Mit der Berufung wendet sich die Klägerin gegen die Beweiswürdigung des Amtsgerichts. Rechtsfehlerhaft sei das Amtsgericht zudem davon ausgegangen, die Klägerin habe ihr Mieterhöhungsverlangen nicht mit der Klageschrift erneuern können.
Die Berufungsklägerin beantragt,
Die Berufungsbeklagte begehrt die Aufrechterhaltung der angegriffenen Entscheidung.
Mit Beschluss vom 12.3.2024 hat die Kammer das schriftliche Verfahren angeordnet und als Zeitpunkt, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, den 5.4.2024 bestimmt.
Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist zulässig. Insbesondere übersteigt die Beschwer der Klägerin den nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO maßgeblichen Beschwerdewert i.H.v. EUR 600,00, weil sich die Höhe des Rechtsmittelstreitwerts bei einem Mieterhöhungsverlangen nach § 9 S. 1 ZPO bestimmt (BGH vom 7.1.2019, Az. VIII ZR 112/18). Er beträgt bei der geforderten monatlichen Mieterhöhung von EUR 19,83 insgesamt EUR 832,86.
2. Die Klägerin kann weder aufgrund des Mieterhöhungsverlangens vom 18.10.2021 noch aufgrund des mit der Klageschrift geäußerten Mieterhöhungsverlangens vom 31.3.2022 von der Beklagten nach § 558 Abs. 1 S. 1 BGB Zustimmung zu einer Mieterhöhung verlangen.
a. Das Mieterhöhungsverlangen vom 18.10.2021 ist der Beklagten nach den Feststellungen des Amtsgerichts nicht zugegangen. An diese Feststellungen ist die Kammer nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Zwar wendet sich die Berufung grundsätzlich gegen die Beweiswürdigung des Gerichts. Sie hat allerdings keine konkreten Anhaltspunkte für eine unzutreffende Würdigung der festgestellten Tatsachen vorgebracht. Derlei Anhaltspunkte ergeben sich auch für die Kammer nicht aus der Verfahrensakte. Vielmehr erscheinen die Erwägungen des Amtsgerichts nachvollziehbar. Dass das umstrittene Mieterhöhungsverlangen der Beklagten ausweislich der als Anlage K 2 vorgelegten Zustellübersicht zugegangen sein soll, ist zwar ein gewichtiges Indiz für eine Zustellung. Es verliert seine Bedeutung allerdings dadurch, dass sich die Zeugin ..... an den konkreten Zustellvorgang nicht mehr erinnern konnte und die Zeugin ..... bekundet hat, kein Mieterhöhungsverlangen erhalten zu haben, obwohl dies ebenfalls auf der Zustellübersicht vermerkt gewesen ist.
b. Das mit der Klageschrift vom 31.3.2022 erklärte Mieterhöhungsverlangen kann innerhalb eines anhängigen Prozesses keine Heilung eines Zustellungsmangels bewirken und damit eine Klage auf Zustimmung zu einer Mieterhöhung nicht begründen.
i. Zwar stellt die Klage isoliert betrachtet ein wirksames Mieterhöhungsverlangen dar. Anders als das Amtsgericht meint, genügt das in der Klageschrift enthaltene Mieterhöhungsverlangen den formellen Anforderungen, insbesondere nach § 558a Abs. 2 BGB. Dass die in der Klage aufgeführten Vergleichswohnungen auch in dem ursprünglichen Mieterhöhungsverlangen enthalten waren, steht dem nicht entgegen. Zudem ergibt sich aus der Klageschrift ausdrücklich, dass das dort geäußerte Erhöhungsverlangen hilfsweise neben das vermeintlich ursprünglich geäußerte Verlangen treten soll (zu dieser Voraussetzung LG Berlin vom 14.7.2009, Az. 63 S 523/08; LG Berlin vom 28.6.2019, Az. 65 S 39/19).
ii. Das Mieterhöhungsverlangen konnte in einem laufenden Prozess allerdings keine Heilung des ursprünglichen Zustellungsmangels herbeiführen und der Klage ebenso wenig als eigenständiges, neues Mieterhöhungsverlangen zum Erfolg verhelfen.
(1) Nach § 558b Abs. 3 S. 1 BGB kann der Vermieter ein Mieterhöhungsverlangen im Rechtsstreit nachholen oder die Mängel des Erhöhungsverlangens beheben, wenn der Klage ein Erhöhungsverlangen vorausgegangen ist, das den Anforderungen des § 558a BGB nicht entspricht. Nach Satz 2 steht dem Mieter auch in diesem Fall die Zustimmungsfrist nach Absatz 2 Satz 1 zu.
§ 558b Abs. 3 S. 1 BGB verhält sich nicht zu der Frage, ob mit der Regelung lediglich die Heilung formeller Fehler eröffnet werden und die Wirkung materieller Fehler - wie der fehlende Zugang eines Mieterhöhungsverlangens - unberührt bleiben soll oder ob aus der Regelung folgt, dass andere als die in § 558a BGB enthaltenen Fehler in einem laufenden Prozess nicht geheilt werden können, insoweit also ein Ausschluss nachgeschobener Mieterhöhungsverlangen besteht.
In seiner Entscheidung vom 14.7.2009 hat es das Landgericht Berlin auf Grundlage von § 558b Abs. 3 BGB als möglich erachtet, ein Mieterhöhungsverlangen während eines Prozesses in einem Schriftsatz zu stellen, wenn der Schriftsatz klar und eindeutig erkennen lasse, ob dieses Schriftstück zugleich ein neues materiell-rechtliches Mieterhöhungsverlangen enthalte (Az. 63 S 523/08).
In einer späteren Entscheidung vom 28.6.2019 hat das Landgericht Berlin unter Bezug auf den Wortlaut von § 558b Abs. 3 BGB und die Gesetzesmaterialien die gegenteilige Auffassung vertreten. § 558b Abs. 3 S. 1 BGB beschränke das Nachhol- bzw. Mängelbehebungsrecht des Vermieters ausdrücklich auf die Einhaltung der in § 558a BGB genannten Formalien; fehle es an der Abgabe der Erklärung, sei das Nachholen oder die Mängelbehebung nicht möglich (unter Verweis auf Hinz, NZM 2002, 633, 634).
(2) Ausweislich des Regierungsentwurfs sollten mit der Regelung in § 558b Abs. 3 BGB "[...] die Nachholungsmöglichkeiten des Vermieters im Rahmen der Zustimmungsklage [formuliert werden], die bisher in § 2 Abs. 3 Satz 2 MHG geregelt waren. Gegenüber § 2 Abs. 3 Satz 2 MHG ist Absatz 3 sprachlich umformuliert. Damit wird klargestellt, dass die Nachholungsmöglichkeiten nur dann bestehen, wenn der Zustimmungsklage überhaupt ein in welcher Form auch immer abgegebenes Mieterhöhungsverlangen vorausgegangen ist. Hierüber bestand bislang Streit (vgl. Schmidt-Futterer/Börstinghaus, Mietrecht, 7. Aufl., § 2 MHG Rn. 551). Das Erfordernis eines wenngleich auch formunwirksamen Mieterhöhungsverlangens ist sachgerecht, damit sich der Mieter in jedem Fall schon vor einer Klageerhebung auf die begehrte Mieterhöhung und die gegebenenfalls folgende Klage einstellen kann" (BT.-Drs. 14/4553, S. 56 li. Sp.).
Der Nachweis zum seinerzeit bestehenden Streit enthält unter anderem einen Verweis auf eine Fundstelle, nach der eine Nachholung im Prozess für zulässig erachtet wurde, auch wenn der Klage überhaupt kein Erhöhungsverlangen vorangegangen war (so Putzo, in: Palandt, 57. Aufl. 1998, MHG, § 2 Rn. 28).
(3) Die Kammer hält es weder aus prozessökonomischen Gründen für sachgerecht noch aus Gründen des Mieterschutzes für angezeigt, ein während eines laufenden Mieterhöhungsprozesses erstmals geäußertes Mieterhöhungsverlangen aus dem laufenden Prozess auszuschließen. Denn ein Vermieter wäre gezwungen, ein von einem laufenden Prozess isoliert zu haltendes Mieterhöhungsverlangen gegenüber dem Mieter zu platzieren. Dadurch würde ein Mieter mit zwei parallel laufenden Vorgängen belastet. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich der Mieter ohnehin bereits in einem Prozessrechtsverhältnis mit dem Vermieter, sodass der beschriebene Schutzgedanke nicht trägt. Die Frist in § 558b Abs. 2 S. 1 BGB und die Möglichkeit zum sofortigen Anerkenntnis nach § 93 ZPO würden den Mieter sowohl materiell als auch prozessual auch im Falle eines erstmaligen Mieterhöhungsverlangens in einem laufenden Prozess in ausreichendem Maße schützen.
Die Kammer sieht sich jedoch mit Blick auf die recht ausdrücklich formulierte Gesetzesbegründung außer Stande, § 558b Abs. 3 BGB dahingehend anzuwenden, dass der Regelung keine Ausschlusswirkung gegenüber einem innerhalb eines Prozesses neu formulierten Mieterhöhungsverlangen zukommt, wenn kein Fall von § 558b Abs. 3 BGB vorliegt. Dies auch vor dem Hintergrund, dass für § 558b Abs. 3 BGB keine wesentliche eigenständige Bedeutung verbliebe, stünde es einem Vermieter frei, jede Art eines Mangels durch Erklärung eines vollständig neuen Mieterhöhungsverlangens in einem laufenden Prozess nachzuholen.
3. Die Revision war nach § 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat.Ω26 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine entscheidungserhebliche, klärungsbedürftige und klärungsfähige Rechtsfrage aufwirft, die sich in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen stellen kann und deswegen das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGH vom 23.2.2022, Az. IV ZR 150/20; BGH vom 1.10.2002, Az. XI ZR 71/02).
Die Rechtsfrage, ob § 558b Abs. 3 BGB eine Ausschlusswirkung gegenüber sämtlichen nicht unter die Norm fallenden, innerhalb eines Prozesses gestellten Mieterhöhungsverlangen entfalten soll, ist höchstrichterlich nicht entschieden. Insbesondere ist nach Auffassung der Kammer der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20.01.2010 (Az. VIII ZR 141/09) keine Aussage über diese Frage zu entnehmen. Die Rechtsfrage kann sich in einer Vielzahl von Mietverhältnissen stellen. Sie ist insbesondere für in größerem Umfang und gewerblich tätige Vermieter von Bedeutung.
Das Interesse der Allgemeinheit folgt aus dem anzunehmenden Interesse sowohl der Vermieter- als auch der Mieterseite und damit einem umfangreichen Personenkreis an dem regelmäßig wiederkehrenden Prozess der Mieterhöhung.
Der Gebührenstreitwert bemisst sich in Abweichung vom Rechtsmittelstreitwert nach § 41 Abs. 5 S. 1 GKG.
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