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Wenn Projektmanager rosa sehen

07.07.2014  — Online-Redaktion Verlag Dashöfer.  Quelle: Dipl. Ing. Peter Siwon.

Projekte leben von dem Glauben an den Erfolg. Es heißt zwar, dass der Glaube Berge versetzt, doch leider führt er auch zu Realitätsverlusten. Das Hinterhältige dabei ist, dass es viele Betroffene gar nicht oder zu spät erkennen. Einige Phänomene die hinter dieser „Sehschwäche“ stecken werde ich nun kurz vorstellen.

Am Anfang eines Projekts steht oft ein Geistesblitz, der zumindest den, der getroffen wurde, elektrisiert. Der so Energiegeladene sieht bereits das fertige Opus vor seinem geistigen Auge - der Triumph erscheint so nah. Ihm geht es wie einem Wanderer, der in seiner Euphorie Luftlinie mit realer Entfernung verwechselt. Wer hofft, dass ihn harte Fakten wie Zeit und Geld wieder zur Besinnung bringen, wird möglicherweise enttäuscht. Der harte Wettbewerb um Geld, Zeit und andere Ressourcen schärft nicht gerade den Blick für die objektive Wahrheit. Emotionale Faktoren wie Status, Macht und Anerkennung verstärken die Seeschwäche noch weiter. Der nüchterne und von dem einen oder anderen Zweifel geplagte Grübler hat schlechte Karten gegen den siegesgewissen Projekt-Sunnyboy. „Denke positiv“ lautet die Devise. Gewinner ist, wer Projektillusionen mit Siegerlächeln und munter pfeifend erstrahlen lässt. Oft ist es nur das geschickt überspielte Pfeifen im Walde. Verlierer ist der nüchterne Realist, der erst in die Projektsuppe spuckt und dann versucht, die Löffel zu verteilen.

Die nächste Chance für objektive Erkenntnisse ist das Projekt selbst. Doch der Sunnyboy und sein Sunnyteam haben natürlich wenig Lust, ihr Siegerimage so mir nichts dir nichts wegen ein paar Rückschlägen und Plan-Abweichungen zu verlieren. Am besten man kehrt solche Bagatellen erst einmal unter den Teppich. Wenn dann doch irgendjemand fragend den Teppich lüftet, gilt es Selbstbewusstsein zu zeigen: „Wir haben alles im Griff - das bekommen wir mit ein paar Überstunden wieder hin“. Wissenschaftliche Studien zeigen sehr deutlich, dass die Mehrheit der Führungskräfte zu spät reagieren, wenn Projekte ins Trudeln geraten.

Warum? Die menschliche Psyche drängt es, Übereinstimmung zwischen Versprechungen und erzielten Ergebnissen herzustellen. Je engagierter und öffentlicher für ein Projekt gekämpft wurde, desto größer ist deshalb die Gefahr, dass Probleme unerkannt bleiben. Wenn diese Übereinstimmung nicht durch Taten erreichbar ist, so wird die Lücke durch „geeignete“ Interpretationen überbrückt. Das geschieht (anfangs) meist ohne Vorsatz, denn viele Warnsignale werden nicht registriert. Der Grund: Das Gehirn unterdrückt Wahrnehmungen, die nicht mit dem aktuellen Aufmerksamkeitsfokus „Erfolg“ vereinbar sind. Wer auf Erfolgskurs gepolt ist, ist deshalb für Hiobsbotschaften weitgehend blind und taub. Wir können uns selbst und andere deshalb erstaunlich lange hinters Licht führen, ohne dabei rot zu werden. Wir wissen nicht, dass wir lügen. Wir schonen so unser Selbstbild mit fatalen Folgen für das Projekt. Auch wenn tatsächlich absichtlich geflunkert wird, erscheint dem Schummler die Differenz zwischen Trugbild und Realität nicht weiter dramatisch. Der eigene Selbstbetrug lässt diesen Unterschied zusammenschrumpfen. Da die meisten Beteiligten rosa Brillen tragen, fällt das bisschen Schamesröte nicht weiter auf, die dann noch bleibt. Ein Ursache dafür besteht darin, dass es vielen Menschen das Eingeständnis schwerfällt, dass sie viel Zeit, Geld oder Energie auf das falsche Projekt, einen überforderten Projektleiter oder ein überlastetes Team gesetzt haben. Sie hoffen auf ein Wunder und werfen dem verlorenem Geld weiteres hinterher.

Irgendwann heulen die Projektsirenen, und da hilft bekanntlich keine rosarote Brille mehr. Doch auch hier findet die Psyche Wege, das Ego zu schützen. Misserfolge werden dann äußeren Einflüssen zugeschrieben: Zulieferer, Tools, Vorgänger, usw. Die angeführten Ursachen sind meist nachvollziehbar. Allerdings werden die sie zugunsten der selbstverschuldeten Ursachen übertrieben dargestellt. Im Gegenzug werden Erfolge unverhältnismäßig den eigenen Fähigkeiten zugeschrieben. Auf diese Weise gehen wertvolle Lektionen für den weiteren Projektverlauf und künftige Projekte verloren.

Irgendwann findet jedes Projekt sein Ende: Die einen zelebrieren ein oft verzögertes Happyend. Die anderen sterben nach längerem Siechtum einen unwürdigen Tod. Sie werden hastig verscharrt in der Hoffnung, dass schnell Gras darüber wächst. Erfolgs-Projekte dienen der Legendenbildung. Da der tatsächliche Verlauf ohnehin schwer rekonstruierbar ist, wird eine plausible Erfolgs-Story gestrickt. Personen und Handlung beruhen auf einer wahren Begebenheit. Aber mehr auch nicht. Retrospektive Betrachtungen unterliegen ebenfalls einer starken Wahrnehmungsverzerrung. Die Realität ist einfach zu kompliziert, um nachvollziehbar und verständlich zu sein. Die Bücherläden sind voll mit Erfolgsrezepten wie „Das 0815-Prinzip: 7 Schritte zum Projekterfolg“. Nicht weil sie zuverlässig funktionieren, sondern weil die Menschen sie verstehen können und die Illusion lieben, alles im Griff haben zu können. Die Faktoren Glück, Zufall und all die unvorhersehbaren Dinge des Lebens finden darin in der Regel nicht die Würdigung, die ihnen gebührt. So werden Überflieger-Projekte zum unrealistischen Maßstab künftiger Projekte. Sehr viel sinnvoller wäre es den Mittelwert über erfolgreiche und gescheiterte Projekte als Maßstab zu nehmen. Doch wer will schon Durchschnitt sein? Wer macht sich überhaupt die Mühe Projektdaten statistisch auszuwerten?

Nehmen Sie die rosarote Brille ab oder suchen Sie sich jemanden, der das für Sie tut! Haben Sie den Mut, in die Projektsuppe zu spucken und dann Löffel zu verteilen. Bekennen Sie sich auch zu den Erfolgsfaktoren Glück und Zufall, denn das ist die Realität, die jeder begreifen sollte. Bestatten Sie Ihre gestorbenen Projekte würdevoll, indem Sie den darin gewonnenen Erfahrungen die notwendige Aufmerksamkeit schenken. Seien Sie sich im klaren, dass sich die ganze Projektwahrheit nie wirklich ergründen lässt. Sie können ihr allerdings näher kommen, wenn Sie die Phänomene verstehen, die ihre Sicht rosa färbt. Gerne lasse ich Ihnen dazu weitere Tipps zukommen. Senden Sie mir eine E-Mail mit dem Stichwort „Rosarote Brille“ an info@die-menschliche-seite.de.

Der Autor:

Peter Siwon beschäftigt sich schon seit mehr als 20 Jahren mit den Themen Gehirn und Psyche im Zusammenhang mit der Projektarbeit. In seine Arbeit fließt die Erfahrung aus 25 Jahren Berufspraxis in Forschung, Entwicklung, Marketing, Vertrieb, Training, Coaching, Beratung und Geschäftsführung. Mehr Informationen und Denkanstöße zur menschlichen Seite des Projekterfolgs finden Sie auf www.die-menschliche-Seite.de.


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